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Absetzung der durch Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltszahlungen BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 9.11.2010, B 4 AS 78/10 R
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Absetzung der durch Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltszahlungen BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 9.11.2010, B 4 AS 78/10 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung -
Absetzung der durch Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltszahlungen
Leitsätze
Vom
Einkommen eines Hilfebedürftigen nach dem SGB 2 ist der in einer
Jugendamtsurkunde titulierte Unterhaltsanspruch regelmäßig in der dort
festgelegten Höhe unabhängig von seiner Pfändbarkeit abzusetzen, wenn
mit ihm gesetzliche Unterhaltspflichten erfüllt werden.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Revisionsverfahren.
Tatbestand
1
Streitig
ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II, insbesondere die Absetzbarkeit von Unterhaltszahlungen vom
laufenden Erwerbseinkommen für den Zeitraum vom 1.4. bis 30.9.2008 und -
im Zusammenhang mit einer teilweisen Aufhebung der SGB II-Bewilligung -
für März 2008.
2
Der 1969 geborene Kläger bezieht seit März
2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Zuletzt bewilligte die Beklagte ihm für die Zeit vom 1.10.2007 bis
31.3.2008 SGB II-Leistungen in Höhe von 592,96 Euro monatlich, die sich
aus der Regelleistung in Höhe von 347 Euro und Kosten für Unterkunft und
Heizung (KdU) in Höhe von 245,56 Euro zusammensetzten (Bescheid vom
4.10.2007). Seit Januar 2008 ist er geschieden; sein am 5.5.1998
geborener Sohn P lebt bei der geschiedenen Ehefrau. Am 24.1.2008 schloss
der Kläger einen Arbeitsvertrag über eine Teilzeitbeschäftigung bei
einer Privatschule in H ab 1.3.2008. Im streitgegenständlichen Zeitraum
beliefen sich seine monatlichen Einkünfte auf 600 Euro brutto bzw 496,47
Euro netto. Anlässlich seines am 31.3.2008 gestellten Antrags auf
Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II legte der Kläger die von ihm
am 29.2.2008 beim Jugendamt des Landkreises B unterzeichnete
Unterhaltsurkunde vor, in der er sich ua verpflichtet hatte, in der Zeit
vom 1.3. bis 31.12.2008 Unterhalt an seinen Sohn in Höhe von 245 Euro
zu zahlen. Wegen der Erfüllung der Verbindlichkeit hatte er sich
zugleich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.
3
Mit
Änderungsbescheid vom 4.4.2008 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom
1. bis zum 31.3.2008 nur noch Leistungen in Höhe von insgesamt 353,62
Euro, die sich aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe
von 108 Euro und für Unterkunft und Heizung in Höhe von 245,56 Euro
zusammensetzten. Dabei legte sie unter Berücksichtigung verschiedener
Absetzbeträge als anrechenbares Einkommen einen Betrag in Höhe von
238,94 Euro zugrunde und hob die Bewilligung von SGB II-Leistungen
teilweise auf. Die Unterhaltsverpflichtung des Klägers sei nicht
einkommensmindernd zu berücksichtigen, weil er unterhaltsrechtlich nicht
leistungsfähig sei. Er könne eine Herabsetzung des Unterhalts auf
"Null" beantragen. Für die Zeit vom 1.4. bis zum 30.9.2008 bewilligte
die Beklagte - wie bereits für März 2008 - Leistungen in Höhe von 353,62
Euro ohne Berücksichtigung der monatlichen Unterhaltszahlungen
(Bescheid vom 4.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 27.5.2008).
4
Das
SG hat den Bescheid vom 4.4.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008 (betreffend die Aufhebung der SGB
II-Bewilligung für März 2008) aufgehoben und den weiteren Bescheid vom
4.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008
"abgeändert mit der Maßgabe, dass die Beklagte monatlich einen Betrag in
Höhe von 245 Euro zusätzlich von dem anzurechnenden Einkommen absetzt"
(Urteil vom 16.10.2009). Das LSG hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen (Urteil vom 22.4.2010). Der Bescheid vom 4.4.2008, mit
dem die Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. bis 31.3.2008 neu
berechnet habe, sei rechtswidrig. Zwar habe der Kläger seit dem 1.3.2008
ein eigenes Einkommen erzielt; dieses habe aber nicht zum Wegfall oder
zur Minderung seines Anspruchs geführt. Die Beklagte habe bei der
Berechnung der Leistungen nach dem SGB II auch für den Monat März 2008
kein Einkommen in Höhe von 238,94 Euro anrechnen dürfen. Die
tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn seien nach §
11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Dem stehe nicht
entgegen, dass er im streitigen Zeitraum bereits seinen eigenen
Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen habe bestreiten können und
auf Leistungen der Beklagten angewiesen gewesen sei. § 11 Abs 2 Satz 1
Nr 7 SGB II verlange für die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsforderung
zunächst nur, dass diese tituliert sei und die Zahlungshöhe innerhalb
des durch die Titulierung vorgegebenen Rahmens liege. Die Frage, ob der
titulierte Unterhaltsanspruch im konkreten Fall erfolgreich gepfändet
werden könne, sei für dessen Berücksichtigung im Rahmen des § 11 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB II irrelevant. Der auf den Unterhaltstitel gezahlte
Betrag sei dem Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum auch nicht wegen
unterlassener Selbsthilfe entgegenzuhalten und in Konsequenz dessen als
Absetzbetrag unberücksichtigt zu lassen. Angesichts der Rechtsprechung
zum Unterhaltsrecht könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine
Änderung des Unterhaltstitels ohne Weiteres möglich wäre. Der Kläger sei
gegenüber seinem minderjährigen Sohn gesteigert unterhaltspflichtig.
Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen werde dabei nicht
allein durch dessen tatsächlich vorhandenes Einkommen, sondern auch
durch seine Erwerbsfähigkeit und -möglichkeiten bestimmt; demzufolge
könne ihm ein fiktives Einkommen zugerechnet werden, wenn er eine ihm
mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlasse, obwohl er diese "bei
gutem Willen" hätte ausüben können. Da der Kläger im
streitgegenständlichen Zeitraum lediglich einer Teilzeitbeschäftigung
nachgegangen sei, erscheine die Anrechnung fiktiver Einkünfte bei der
(unterhaltsrechtlichen) Bemessung seiner Leistungsfähigkeit - auch
angesichts seines Lebensalters - zumindest nicht ausgeschlossen. Unter
Berücksichtigung der Unterhaltszahlung in Höhe von 245 Euro verbleibe
kein den Bedarf minderndes Einkommen. Daher sei auch der Bescheid vom
4.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008 für die
Zeit vom 1.4. bis 30.9.2008 teilweise rechtswidrig.
5
Mit
ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 11 Abs 2 Satz 1
Nr 7 SGB II. Die titulierten und geleisteten Unterhaltszahlungen könnten
nicht vom Erwerbseinkommen abgesetzt werden, wenn der
Unterhaltsverpflichtete - wie hier der Kläger - aus leistungsrechtlicher
Sicht gar nicht in der Lage sei, die Unterhaltsverpflichtungen zu
erfüllen, ohne sich in diesem Umfang bedürftig zu machen. Der Kläger
habe den für seinen Sohn zu zahlenden Unterhaltsbetrag in dem vollen
Bewusstsein festsetzen und titulieren lassen, dass er diese
Unterhaltsverpflichtung nicht allein durch sein zu erwartendes Einkommen
erfüllen könne. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass jeder
titulierte Unterhaltsbetrag auch tatsächlich pfändbar sei. Dies sei aber
nicht immer der Fall. Bei einem nicht leistungsfähigen
Unterhaltsverpflichteten könne es tatsächlich nie zu einer Pfändung
kommen, weil dieser den Unterhaltstitel bereits vor der Pfändung
herabgesetzt habe oder einer solchen im Rahmen einer
Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO entgegentrete. Der
Aufforderung, einen Antrag auf Herabsetzung seiner
Unterhaltsverpflichtung zu stellen, sei der Kläger bis heute nicht
nachgekommen. Der Annahme des LSG, dass ungenutzte
Selbsthilfemöglichkeiten nicht relevant würden, wenn die bloße
Möglichkeit einer langwierigen Durchsetzung des Rechts bestehe, könne
nicht gefolgt werden.
6
Die Beklagte beantragt,
das
Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Oktober 2009 in der Fassung
des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April
2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8
Das
LSG habe dezidiert und substantiiert dargelegt, dass ihn die
Unterhaltspflicht im streitgegenständlichen Zeitraum sehr wohl getroffen
habe. Entsprechend sei das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt,
dass kein Raum für eine teleologische Reduktion des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr
7 SGB II bestehe und er sich auch nicht dadurch kostenersatzpflichtig
iS des § 34 SGB II gemacht habe, dass er sich der
Unterhaltsverpflichtung zugunsten seines Sohnes unterworfen habe.
Entscheidungsgründe
9
1.
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Freiburg vom
16.10.2009 zu Recht zurückgewiesen.
10
2. Gegenstand des
Verfahrens ist zum einen der Bescheid vom 4.4.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.5.2008, mit dem die Beklagte den
Bewilligungsbescheid vom 4.10.2007 wegen der Berücksichtigung von
Erwerbseinkommen des Klägers für den Monat März 2008 teilweise
aufgehoben hat. Hiergegen wendet sich der Kläger zu Recht nur mit der
reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), weil mit der Aufhebung dieses
Bescheids die im Bewilligungsbescheid vom 4.10.2007 enthaltene Verfügung
über die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.10.2007
bis 31.3.2008 wirksam bleibt. Zum anderen ist der Bescheid vom 4.4.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.5.2008 Gegenstand des
Verfahrens, mit dem die Beklagte das Einkommen des Klägers aus seiner
Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 238,94 Euro bedarfsmindernd ohne Abzug
der tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn
berücksichtigt hat. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger in
zulässiger Weise mit einer (kombinierten) Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Die Vorinstanzen sind zu Recht davon
ausgegangen, dass die mit der Urkunde des Jugendamtes des Landkreises B
vom 29.2.2008 titulierten Unterhaltsansprüche einkommensmindernd zu
berücksichtigen sind und auch unter Beachtung der sonstigen
Absatzbeträge kein anrechenbares Einkommen verbleibt.
11
3.
Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 4.4.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008, mit dem die Beklagte
die Bewilligung von SGB II-Leistungen vom 1.10.2007 bis 31.3.2008
teilweise aufgehoben hat, misst sich an § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm §
48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X und § 330 Abs 3 SGB III. Hiernach ist ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hier der Bescheid vom 4.10.2007 - mit
Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Erlass
des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder
zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Eine wesentliche
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt nicht vor. Der Kläger hat
auch im März 2008 weiterhin Anspruch auf SGB II-Leistungen in der vom
LSG ermittelten Höhe unter Berücksichtigung angemessener KdU in Höhe von
245,56 Euro ohne Berücksichtigung des Einkommens aus der
Teilzeitbeschäftigung, weil neben den weiteren Absetzbeträgen auch die
Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn in vollem Umfang
einkommensmindernd zu berücksichtigen ist.
12
4. Nach Maßgabe
der §§ 11 Abs 2 SGB II, 30 SGB II sowie § 6 der Verordnung zur
Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen
und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld-Verordnung vom 17.12.2007 2942>) hat die Beklagte den vom Nettoeinkommen des Klägers in Höhe
von 496,97 Euro abzusetzenden Betrag in Höhe von 502,53 Euro zutreffend
ermittelt. Sie hat neben dem Freibetrag bei Erwerbstätigkeit nach § 11
Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II iVm § 30 SGB II in Höhe von 100 Euro einen
Pauschbetrag für private Versicherungen in Höhe von 30 Euro (§ 6 Abs 1
Nr 1 Alg II-V), eine allgemeine Werbungskostenpauschale in Höhe von
15,33 Euro monatlich (§ 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V) und 112,20 Euro
monatlich an pauschalierten Fahrtkosten berücksichtigt (§ 6 Abs 1 Nr 3
Buchst b Alg II-V). Dabei hat sie die Entfernung des Klägers zwischen
seinem Zweitwohnsitz in L und der Arbeitsstelle (37,4 km), 15 Fahrtage
pro Monat und 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer zugrunde gelegt.
Ergänzend zu dem so errechneten Absetzbetrag in Höhe von 157,53 Euro
sind der Grundfreibetrag in Höhe von 100 Euro (vgl § 30 SGB II) und die
Unterhaltszahlungen des Klägers in Abzug zu bringen, sodass sich ein
Gesamtbetrag in Höhe von 502,53 Euro ergibt, der das Nettoeinkommen des
Klägers in Höhe von 496,47 Euro übersteigt.
13
5. a) Die
Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn sind von seinem
Erwerbseinkommen abzuziehen. Insofern bestimmt § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7
SGB II, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher
Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in
einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag
vom Einkommen abzusetzen sind. Nach den Feststellungen des LSG hat der
Kläger den in der Unterhaltsurkunde festgelegten Unterhalt im streitigen
Zeitraum tatsächlich geleistet (zu diesem Erfordernis: BSG Urteil vom
30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 24). Dies hat
seine geschiedene Ehefrau mit schriftlicher Erklärung vom 18.7.2008
bestätigt. Bei der vor dem Jugendamt des Landkreises B unterzeichneten
Unterhaltsurkunde vom 29.2.2008 handelt es sich um einen Unterhaltstitel
iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II (b). Die Unterhaltszahlungen des
Klägers erfolgten auch zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten
(c). Die Absetzbarkeit der Unterhaltsbeträge nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7
SGB II hängt nicht davon ab, ob und ggf in welchem Umfang das im Rahmen
des SGB II zu berücksichtigende Einkommen wegen der titulierten
Unterhaltsverpflichtungen pfändbar ist (d). Die Nichtberücksichtigung
der tatsächlichen Unterhaltszahlungen ergibt sich auch nicht daraus,
dass der Kläger auf eine Abänderung des Unterhaltstitels hinwirken muss
(e).
14
b) Ein Unterhaltstitel iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7
SGB II liegt auch vor, wenn sich der Unterhaltsschuldner - wie hier -
mit einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt
verpflichtet. Den Gesetzesmaterialien ist der gesetzgeberische Wille zu
entnehmen, auch beim Jugendamt kostenfrei zu beschaffende
Unterhaltstitel gleichwertig zu anderen Unterhaltstiteln zu
berücksichtigen (BT-Drucks 16/1410 S 20). Nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3
SGB VIII ist die Urkundsperson beim Jugendamt befugt, die Verpflichtung
zur Erfüllung von Unterhaltsansprüchen eines Abkömmlings zu beurkunden,
sofern die unterhaltsberechtigte Person zum Zeitpunkt der Beurkundung
das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. § 60 SGB VIII bestimmt,
dass aus Urkunden, die eine Verpflichtung nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3
SGB VIII zum Gegenstand haben, die Zwangsvollstreckung stattfindet, wenn
die Erklärung die Zahlung einer bestimmten Geldsumme betrifft und der
Schuldner sich in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung
unterworfen hat (Satz 1). Auf die Zwangsvollstreckung sind die
Vorschriften, die für die Zwangsvollstreckung aus gerichtlichen Urkunden
nach § 794 Abs 1 Nr 5 ZPO gelten, grundsätzlich anwendbar (§ 60 Satz 3
SGB VII). Entsprechend diesen gesetzlichen Regelungen geht die
zivilgerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass Jugendamtsurkunden -
unabhängig von der Frage, ob ihnen eine von den Parteien getroffene
Unterhaltsvereinbarung oder ein einseitig verpflichtendes
Schuldversprechen des Unterhaltsschuldners zugrunde liegt -
Unterhaltstitel sind, die (ggf nur bei Änderung der tatsächlichen
Grundlagen des abzuändernden Titels, vgl hierzu Harms in JurisPR-FamR
12/2008 Anm 2) im Wege einer Abänderungsklage nach § 323 Abs 4 ZPO
verändert werden können (BGH Urteil vom 29.10.2003 - XII ZR 115/01 - NJW
2003, 3770; BGH Urteil vom 2.10.2002 - XII ZR 346/00 - FamRZ 2003, 304
ff; BGH Urteil vom 27.6.1984 - IVb ZR 21/83 - FamRZ 1984, 997 ff).
15
c)
aa) Der hier in der Unterhaltsurkunde vom 29.2.2008 für die Zeit ab
1.3.2008 vereinbarte Unterhalt in Höhe von 245 Euro dient der Erfüllung
gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB
II, weil der Kläger seinem Sohn gegenüber nach den Regelungen des
Verwandtenunterhalts nach den §§ 1601 ff BGB zum Unterhalt verpflichtet
ist. Insofern bringt die Verknüpfung der in einem Unterhaltstitel
fixierten Unterhaltsbeträge mit dem Erfordernis der "gesetzlichen
Unterhaltsverpflichtungen" in § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II zum Ausdruck,
dass jedenfalls "freiwillige Unterhaltszahlungen" ohne Titulierung (BSG
Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 2/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 4 RdNr 21)
und titulierte Unterhaltszahlungen, die nicht auf einer gesetzlichen
Verpflichtung beruhen, nicht als Absetzbeträge vom Einkommen
berücksichtigt werden können (vgl BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS
10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25).
16
bb) Die
grundsätzliche Anknüpfung der Höhe des abzusetzenden Unterhaltsbetrags
an den titulierten Unterhaltsanspruch folgt aus dem Wortlaut des § 11
Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II. Indem der Gesetzgeber des SGB II für die Höhe
des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den in einem
Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch als Obergrenze für die
Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Abzugsbetrag anknüpft,
unterstellt er im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der
SGB II-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein
nach Maßgabe der §§ 1601 ff BGB gegebener Unterhaltsanspruch auch in
der festgelegten Höhe besteht. Es bedarf daher regelmäßig keiner eigenen
Feststellungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder
der Sozialgerichte zur Höhe des Unterhaltsanspruchs.
17
Diese
nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II
vorgesehene Anknüpfung an einen Unterhaltstitel für die Ermittlung der
vom Einkommen absetzbaren Unterhaltszahlungen entspricht der
Rechtsprechung des BSG zur Abzweigung nach § 48 SGB I. Nach § 48 Abs 1
Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des
Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den
Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden,
wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht
nachkommt. Konkrete Feststellungen der Sozialleistungsträger bzw der
Gerichte zur Unterhaltspflicht, insbesondere zur Leistungsfähigkeit des
Hilfebedürftigen, erfolgen nur dann, wenn keine gerichtliche
Entscheidung oder verbindliche Vereinbarung über den zu leistenden
Unterhalt vorliegt (BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 34/07 R - SozR
4-1200 § 48 Nr 3, RdNr 15; BSGE 93, 203 = SozR 4-1200 § 48 Nr 1, jeweils
RdNr 17; BSG Urteil vom 8.7.2009 - B 11 AL 30/08 R - BSGE 104, 65 ff =
SozR 4-1200 § 48 Nr 4, jeweils RdNr 14). Dagegen bestimmt und begrenzt
ein rechtskräftiger Unterhaltstitel gleichzeitig die gesetzliche
Unterhaltspflicht iS des § 48 SGB I (BSG Urteil vom 7.10.2004 - B 11 AL
13/04 R - BSGE 93, 203 = SozR 4-1200 § 48 Nr 1, jeweils RdNr 16; SozR
1200 § 48 Nr 3;).
18
Die Anknüpfung an den titulierten
Anspruch gilt auch für durch Jugendamtsurkunden titulierte
Unterhaltsansprüche. Zwar ist - anders als bei Titulierung eines
Unterhaltstitels durch ein Urteil - bei Aufnahme einer
Unterhaltsverpflichtung in einer Urkunde des Jugendamtes eher denkbar,
dass Unterhaltspflichten als verbindlich fixiert werden, ohne dass deren
genaue Höhe im konkreten Einzelfall gerichtlich abschließend geklärt
und festgelegt worden ist (vgl OLG Hamm Urteil vom 28.4.2009 - II-13 UF
2/09, 13 UF 2/09 - NJW 2009, 3446 ff). Dies hat der Gesetzgeber mit dem
Bezug auf einen vorliegenden Unterhaltstitel und Verweis auf die
kostenfreie Titulierung von Unterhaltspflichten durch die
Inanspruchnahme von Jugendämtern jedoch ausdrücklich in Kauf genommen
(vgl BT-Drucks 16/1410 S 20). Hierbei dürfte auch zu berücksichtigen
sein, dass nur von dem Jugendamt konkret nach § 59 Abs 3 SGB VIII
ermächtigte Mitarbeiter zur Beurkundung von Unterhaltsverpflichtungen
nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II berechtigt sind. Diese Befugnis kann
nur Beamten oder Angestellten übertragen sein, die wegen ihrer
Kenntnisse des deutschen und ausländischen Familienrechts (Greßmann in
Hauck/Noftz, SGB VIII, § 59 RdNr 44 f, Stand September 2009) dafür
geeignet sind (§ 59 Abs 3 SGB VIII).
19
cc) Es ist hier nicht
zu entscheiden, ob von dieser grundsätzlichen Anknüpfung an den Inhalt
eines Unterhaltstitels eine Ausnahme zu machen ist, wenn der titulierte
Unterhalt offenbar dem Grunde oder seiner Höhe nach nicht der Erfüllung
einer gesetzlichen Unterhaltspflicht dienen kann. Im zu entscheidenden
Fall liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat seinem
minderjährigen Sohn gegenüber eine gesteigerte Unterhaltspflicht nach §
1603 Abs 2 BGB. Diese führt dazu, dass auch an seine Erwerbsobliegenheit
besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und der Verstoß gegen
diese Obliegenheiten familienrechtlich zur Annahme einer
unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit durch Anrechnung fiktiver
Einkünfte führen kann (vgl zB BGH Urteil vom 9.1.2008 - XII ZR 170/05 -
FamRZ 2008, 594; vgl zur Aufrechterhaltung einer nur auf der Grundlage
der Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens angenommenen
Leistungsfähigkeit: BGH Urteil vom 20.2.2008 - XII ZR 101/05 - FamRZ
2008, 872). Auch die Höhe des von dem Kläger mit der Unterhaltsurkunde
des Jugendamtes des Landkreises B vom 29.2.2008 anerkannten
Unterhaltsbetrags weicht nicht offenbar von gesetzlichen Vorgaben ab.
Der festgesetzte Betrag entspricht seiner Höhe nach dem untersten Betrag
der - nach Praxis der Familiengerichte (vgl Wendl/Staudigl, Das
Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl 2008, § 2
RdNr 122, 195, 205) - heranzuziehenden Düsseldorfer Tabelle (Stand
1.7.2007) sowie dem Regelbetrag nach der bis 31.12.2007 geltenden
Regelbetrag-Verordnung auf der Grundlage des § 1612a BGB aF in der
Altersstufe des Sohnes des Klägers (ab 1.7.2007 in Höhe von 245 Euro).
Der in der Urkunde des Jugendamtes fixierte Betrag liegt damit unterhalb
des ab 1.1.2008 geltenden Mindestunterhalts nach § 1612a BGB iVm § 36
Nr 4 Buchst b EGZPO für minderjährige Kinder in Höhe von 322 Euro.
20
d)
Der Abzug der in der Urkunde des Jugendamts vom 29.2.2008 titulierten
Unterhaltsbeträge erfolgt unabhängig von ihrer konkreten Pfändbarkeit.
Der Wortlaut des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II sowie auch dessen
Entstehungsgeschichte gibt für die zusätzliche Berücksichtigung der
Pfändbarkeit des Unterhaltsanspruchs im Sinne eines weiteren
"hinzuzudenkenden Tatbestandsmerkmals" keine Anhaltspunkte. § 11 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB II fordert nach seinem Wortlaut allein die Titulierung
von Unterhaltsansprüchen. Die (nur) titulierten Unterhaltsansprüche
werden bereits gepfändeten Aufwendungen zur Erfüllung von
Unterhaltspflichten, die von vorneherein nicht als verfügbares Einkommen
zu berücksichtigen sind (Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr
55), gleichgestellt (Hohm/Klaus in GK-SGB II, § 11 RdNr 325, Stand
Oktober 2008). Insofern ergibt sich aus der gesetzgeberischen Konzeption
des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II, dass hinsichtlich der durch einen
Unterhaltstitel festgelegten gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen
davon auszugehen ist, dass diese Beträge - tatsächliche
Unterhaltszahlungen vorausgesetzt (vgl zu diesem Erfordernis BSG Urteil
vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 24) -
insoweit als gebundene Teile des Einkommens auch unabhängig von ihrer
Pfändbarkeit angesehen werden sollen.
21
In der ursprünglichen
Fassung des § 11 Abs 2 SGB II bei Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005
hatte der Gesetzgeber zunächst keine Regelungen zur
einkommensmindernden Berücksichtigung von tatsächlichen
Unterhaltszahlungen an Dritte aufgenommen. Ausweislich der
Gesetzesmaterialien wollte er sich bei der Schaffung der Vorschriften
des SGB II zur Einkommensberücksichtigung an den bislang im
Sozialhilferecht geltenden Regelungen orientieren (vgl BT-Drucks 15/1516
S 53 zu § 11). Unter Geltung des § 76 Abs 2, Abs 2a BSHG war in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass "bloß"
titulierte Unterhaltsverpflichtungen nicht abgesetzt werden konnten.
Lediglich bereits zu Gunsten eines Unterhaltsanspruchs gepfändetes
Einkommen wurde als nicht "bereites Mittel" angesehen. Die
Privilegierung des gepfändeten Einkommens wurde zudem daran geknüpft,
dass eine Abwehr der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder
allenfalls im Wege eines langwierigen Rechtsmittelverfahrens möglich war
(BVerwG Urteil vom 15.12.1977 - V C 35.77 - BVerwGE 55, 148 ff, 151 f;
BVerwG Beschluss vom 2.7.1993 - 5 B 165/92 - NDV 1994, 41 f; Hessischer
VGH Urteil vom 24.1.1986 - IX OE 88/82 - FEVS 35, 447; OVG
Schleswig-Holstein Urteil vom 16.2.2002 - 2 L 137/01 - info also 2002,
129). Gleichfalls wies das BVerwG darauf hin, dass ein Unterschied
abhängig davon bestehen könne, ob der Unterhaltspflichtige die Mittel
(das anrechenbare Einkommen) von Anfang an ungeschmälert in der Hand
gehabt habe und vor der Frage stehe, sich in Erfüllung seiner
Unterhaltspflicht durch Leistung des Unterhalts hilfebedürftig zu machen
oder ob er das anrechenbare Einkommen infolge einer Pfändung
ungemindert in die Hand bekomme (BVerwGE 55, 148, 153).
22
Vor
dem Hintergrund der im SGB II neu geschaffenen Bedarfsgemeinschaft ist
die Absetzbarkeit von Unterhaltsansprüchen vom Einkommen nach
Inkrafttreten des SGB II am 1.1.2005 von der sozialgerichtlichen
Rechtsprechung zunächst unterschiedlich bewertet worden (vgl zB LSG
Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 11.1.2006 - L 1 B 36/05 AS ER, RdNr 3
gegen die Berücksichtigung von "nur" titulierten Unterhaltsansprüchen;
aA Sächsisches LSG Beschluss vom 1.2.2006 - L 3 B 162/05 AS ER). Im
politischen Raum wurde thematisiert, ob nicht eine dem Kindeswohl
unzuträgliche Belastung zwischen den Eltern eines Kindes aus einer
vorangegangenen Partnerschaft aber auch dem unterhaltspflichtigen
Elternteil und dem nicht in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kind
dadurch eintreten könne, dass dem Unterhalt für ein Kind aus einer
vorherigen Partnerschaft eine untergeordnete Priorität im Vergleich zu
dem "tatsächlichen Unterhalt" durch die Bedarfsgemeinschaft eingeräumt
werde (BT-Drucks 15/3694 S 19 f). Im Anschluss hat der Gesetzgeber mit
dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom
20.7.2006 (BGBl I 1706) mit Wirkung zum 1.8.2006 die jetzige Regelung
des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II in das Gesetz aufgenommen. Wie sich
der Gesetzesbegründung entnehmen lässt, sollen auch nicht gepfändete
Ansprüche, "die aber wegen eines titulierten Unterhaltsanspruchs
jederzeit gepfändet werden können" (vgl BT-Drucks 16/1410 S 20) das
Erwerbseinkommen mindern. Eine zeitbezogene Differenzierung der
Absetzbarkeit von Unterhaltsansprüchen im Hinblick auf den Zeitpunkt des
Eintritts der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II hat der Gesetzgeber
trotz der bekannten Rechtsprechung des BVerwG nicht in die Vorschrift
aufgenommen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er mit § 11
Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II jedenfalls auch den Vorrang von nur titulierten
gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gerade gegenüber leiblichen
minderjährigen Kindern außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem
Einsatz des Einkommens in einer Bedarfsgemeinschaft sicherstellen
wollte (vgl auch BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102,
76 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 42).
23
e) Entgegen
der Auffassung der Beklagten lässt sich ein Außerbetrachtlassen der
Unterhaltsverpflichtung des Klägers auch nicht aus seiner Pflicht zur
Eigenaktivität nach § 2 SGB II bzw dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 3
Abs 3 SGB II ableiten. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II haben
Hilfebedürftige in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen,
ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dürfen nach § 3 Abs 3 SGB
II nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig
beseitigt werden kann. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und ggf
inwieweit diesen Normen eine von den weiteren Vorschriften des SGB II
unabhängige Sanktions- bzw Kürzungsmöglichkeit entnommen werden kann,
weil § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II die von dem Kläger gewählte
Gestaltungsform ausdrücklich zulässt.
24
Zwar kann § 11 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB II - wie vorliegend der Fall - bewirken, dass ein nur
auf der Grundlage einer familienrechtlichen Zurechnung eines fiktiven
Erwerbseinkommens bestehender titulierter Unterhaltsanspruch durch
dessen Absetzbarkeit vom Einkommen zu höheren SGB II-Leistungen für den
Hilfebedürftigen und die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft (vgl § 9
Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II) führt, wenn die Anforderungen des Trägers der
Grundsicherung für Arbeitsuchende an die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit geringer sind als die familienrechtlichen Anforderungen
an eine Erwerbsobliegenheit bei gesteigerter Unterhaltspflicht
gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs 2 BGB (vgl zum Umfang
der Erwerbsobliegenheiten zB BGH Urteil vom 3.12.2008 - XII ZR 182/06 -
FamRZ 2009, 314 ff). Dies wird jedoch mit einer allein auf die
Titulierung abstellenden typisierenden Regelung in Kauf genommen.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass mit dem Erfordernis der
Titulierung durch fachkundige familienrechtliche Stellen regelmäßig die
Beachtung unterhaltsrechtlicher Grundsätze, nach denen dem
Unterhaltspflichtigen jedenfalls der Betrag verbleiben muss, der seinen
eigenen Lebensbedarf nach sozialhilfe- bzw grundsicherungsrechtlichen
Grundsätzen sicherstellt (BGH Urteil vom 9.1.2008 - XII ZR 170/09 -
FamRZ 2008, 594; BGH Urteil vom 15.3.2006 - XII ZR 30/04 - BGHZ 166,
351, 356 = FamRZ 2006, 683, 684; BVerfG FamRZ 2001, 1685 f), angenommen
werden kann.
25
6. Da unter Berücksichtigung der Absetzbeträge
und der Unterhaltszahlungen kein anrechenbares Einkommen verbleibt, ist
die Revision der Beklagten auch zurückzuweisen, soweit sie sich dagegen
wehrt, dass die Vorinstanzen dem Kläger bei einem weiterhin in gleicher
Höhe bestehenden Bedarf für den Bewilligungszeitraum vom 1.4. bis
30.9.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
in voller Höhe zugesprochen haben.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=11911
Gruß Willi S
Absetzung der durch Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltszahlungen
Leitsätze
Vom
Einkommen eines Hilfebedürftigen nach dem SGB 2 ist der in einer
Jugendamtsurkunde titulierte Unterhaltsanspruch regelmäßig in der dort
festgelegten Höhe unabhängig von seiner Pfändbarkeit abzusetzen, wenn
mit ihm gesetzliche Unterhaltspflichten erfüllt werden.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Revisionsverfahren.
Tatbestand
1
Streitig
ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II, insbesondere die Absetzbarkeit von Unterhaltszahlungen vom
laufenden Erwerbseinkommen für den Zeitraum vom 1.4. bis 30.9.2008 und -
im Zusammenhang mit einer teilweisen Aufhebung der SGB II-Bewilligung -
für März 2008.
2
Der 1969 geborene Kläger bezieht seit März
2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Zuletzt bewilligte die Beklagte ihm für die Zeit vom 1.10.2007 bis
31.3.2008 SGB II-Leistungen in Höhe von 592,96 Euro monatlich, die sich
aus der Regelleistung in Höhe von 347 Euro und Kosten für Unterkunft und
Heizung (KdU) in Höhe von 245,56 Euro zusammensetzten (Bescheid vom
4.10.2007). Seit Januar 2008 ist er geschieden; sein am 5.5.1998
geborener Sohn P lebt bei der geschiedenen Ehefrau. Am 24.1.2008 schloss
der Kläger einen Arbeitsvertrag über eine Teilzeitbeschäftigung bei
einer Privatschule in H ab 1.3.2008. Im streitgegenständlichen Zeitraum
beliefen sich seine monatlichen Einkünfte auf 600 Euro brutto bzw 496,47
Euro netto. Anlässlich seines am 31.3.2008 gestellten Antrags auf
Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II legte der Kläger die von ihm
am 29.2.2008 beim Jugendamt des Landkreises B unterzeichnete
Unterhaltsurkunde vor, in der er sich ua verpflichtet hatte, in der Zeit
vom 1.3. bis 31.12.2008 Unterhalt an seinen Sohn in Höhe von 245 Euro
zu zahlen. Wegen der Erfüllung der Verbindlichkeit hatte er sich
zugleich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.
3
Mit
Änderungsbescheid vom 4.4.2008 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom
1. bis zum 31.3.2008 nur noch Leistungen in Höhe von insgesamt 353,62
Euro, die sich aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe
von 108 Euro und für Unterkunft und Heizung in Höhe von 245,56 Euro
zusammensetzten. Dabei legte sie unter Berücksichtigung verschiedener
Absetzbeträge als anrechenbares Einkommen einen Betrag in Höhe von
238,94 Euro zugrunde und hob die Bewilligung von SGB II-Leistungen
teilweise auf. Die Unterhaltsverpflichtung des Klägers sei nicht
einkommensmindernd zu berücksichtigen, weil er unterhaltsrechtlich nicht
leistungsfähig sei. Er könne eine Herabsetzung des Unterhalts auf
"Null" beantragen. Für die Zeit vom 1.4. bis zum 30.9.2008 bewilligte
die Beklagte - wie bereits für März 2008 - Leistungen in Höhe von 353,62
Euro ohne Berücksichtigung der monatlichen Unterhaltszahlungen
(Bescheid vom 4.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 27.5.2008).
4
Das
SG hat den Bescheid vom 4.4.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008 (betreffend die Aufhebung der SGB
II-Bewilligung für März 2008) aufgehoben und den weiteren Bescheid vom
4.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008
"abgeändert mit der Maßgabe, dass die Beklagte monatlich einen Betrag in
Höhe von 245 Euro zusätzlich von dem anzurechnenden Einkommen absetzt"
(Urteil vom 16.10.2009). Das LSG hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen (Urteil vom 22.4.2010). Der Bescheid vom 4.4.2008, mit
dem die Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. bis 31.3.2008 neu
berechnet habe, sei rechtswidrig. Zwar habe der Kläger seit dem 1.3.2008
ein eigenes Einkommen erzielt; dieses habe aber nicht zum Wegfall oder
zur Minderung seines Anspruchs geführt. Die Beklagte habe bei der
Berechnung der Leistungen nach dem SGB II auch für den Monat März 2008
kein Einkommen in Höhe von 238,94 Euro anrechnen dürfen. Die
tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn seien nach §
11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Dem stehe nicht
entgegen, dass er im streitigen Zeitraum bereits seinen eigenen
Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen habe bestreiten können und
auf Leistungen der Beklagten angewiesen gewesen sei. § 11 Abs 2 Satz 1
Nr 7 SGB II verlange für die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsforderung
zunächst nur, dass diese tituliert sei und die Zahlungshöhe innerhalb
des durch die Titulierung vorgegebenen Rahmens liege. Die Frage, ob der
titulierte Unterhaltsanspruch im konkreten Fall erfolgreich gepfändet
werden könne, sei für dessen Berücksichtigung im Rahmen des § 11 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB II irrelevant. Der auf den Unterhaltstitel gezahlte
Betrag sei dem Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum auch nicht wegen
unterlassener Selbsthilfe entgegenzuhalten und in Konsequenz dessen als
Absetzbetrag unberücksichtigt zu lassen. Angesichts der Rechtsprechung
zum Unterhaltsrecht könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine
Änderung des Unterhaltstitels ohne Weiteres möglich wäre. Der Kläger sei
gegenüber seinem minderjährigen Sohn gesteigert unterhaltspflichtig.
Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen werde dabei nicht
allein durch dessen tatsächlich vorhandenes Einkommen, sondern auch
durch seine Erwerbsfähigkeit und -möglichkeiten bestimmt; demzufolge
könne ihm ein fiktives Einkommen zugerechnet werden, wenn er eine ihm
mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlasse, obwohl er diese "bei
gutem Willen" hätte ausüben können. Da der Kläger im
streitgegenständlichen Zeitraum lediglich einer Teilzeitbeschäftigung
nachgegangen sei, erscheine die Anrechnung fiktiver Einkünfte bei der
(unterhaltsrechtlichen) Bemessung seiner Leistungsfähigkeit - auch
angesichts seines Lebensalters - zumindest nicht ausgeschlossen. Unter
Berücksichtigung der Unterhaltszahlung in Höhe von 245 Euro verbleibe
kein den Bedarf minderndes Einkommen. Daher sei auch der Bescheid vom
4.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008 für die
Zeit vom 1.4. bis 30.9.2008 teilweise rechtswidrig.
5
Mit
ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 11 Abs 2 Satz 1
Nr 7 SGB II. Die titulierten und geleisteten Unterhaltszahlungen könnten
nicht vom Erwerbseinkommen abgesetzt werden, wenn der
Unterhaltsverpflichtete - wie hier der Kläger - aus leistungsrechtlicher
Sicht gar nicht in der Lage sei, die Unterhaltsverpflichtungen zu
erfüllen, ohne sich in diesem Umfang bedürftig zu machen. Der Kläger
habe den für seinen Sohn zu zahlenden Unterhaltsbetrag in dem vollen
Bewusstsein festsetzen und titulieren lassen, dass er diese
Unterhaltsverpflichtung nicht allein durch sein zu erwartendes Einkommen
erfüllen könne. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass jeder
titulierte Unterhaltsbetrag auch tatsächlich pfändbar sei. Dies sei aber
nicht immer der Fall. Bei einem nicht leistungsfähigen
Unterhaltsverpflichteten könne es tatsächlich nie zu einer Pfändung
kommen, weil dieser den Unterhaltstitel bereits vor der Pfändung
herabgesetzt habe oder einer solchen im Rahmen einer
Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO entgegentrete. Der
Aufforderung, einen Antrag auf Herabsetzung seiner
Unterhaltsverpflichtung zu stellen, sei der Kläger bis heute nicht
nachgekommen. Der Annahme des LSG, dass ungenutzte
Selbsthilfemöglichkeiten nicht relevant würden, wenn die bloße
Möglichkeit einer langwierigen Durchsetzung des Rechts bestehe, könne
nicht gefolgt werden.
6
Die Beklagte beantragt,
das
Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. Oktober 2009 in der Fassung
des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. April
2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8
Das
LSG habe dezidiert und substantiiert dargelegt, dass ihn die
Unterhaltspflicht im streitgegenständlichen Zeitraum sehr wohl getroffen
habe. Entsprechend sei das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt,
dass kein Raum für eine teleologische Reduktion des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr
7 SGB II bestehe und er sich auch nicht dadurch kostenersatzpflichtig
iS des § 34 SGB II gemacht habe, dass er sich der
Unterhaltsverpflichtung zugunsten seines Sohnes unterworfen habe.
Entscheidungsgründe
9
1.
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Freiburg vom
16.10.2009 zu Recht zurückgewiesen.
10
2. Gegenstand des
Verfahrens ist zum einen der Bescheid vom 4.4.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.5.2008, mit dem die Beklagte den
Bewilligungsbescheid vom 4.10.2007 wegen der Berücksichtigung von
Erwerbseinkommen des Klägers für den Monat März 2008 teilweise
aufgehoben hat. Hiergegen wendet sich der Kläger zu Recht nur mit der
reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), weil mit der Aufhebung dieses
Bescheids die im Bewilligungsbescheid vom 4.10.2007 enthaltene Verfügung
über die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.10.2007
bis 31.3.2008 wirksam bleibt. Zum anderen ist der Bescheid vom 4.4.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.5.2008 Gegenstand des
Verfahrens, mit dem die Beklagte das Einkommen des Klägers aus seiner
Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 238,94 Euro bedarfsmindernd ohne Abzug
der tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn
berücksichtigt hat. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger in
zulässiger Weise mit einer (kombinierten) Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Die Vorinstanzen sind zu Recht davon
ausgegangen, dass die mit der Urkunde des Jugendamtes des Landkreises B
vom 29.2.2008 titulierten Unterhaltsansprüche einkommensmindernd zu
berücksichtigen sind und auch unter Beachtung der sonstigen
Absatzbeträge kein anrechenbares Einkommen verbleibt.
11
3.
Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 4.4.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.5.2008, mit dem die Beklagte
die Bewilligung von SGB II-Leistungen vom 1.10.2007 bis 31.3.2008
teilweise aufgehoben hat, misst sich an § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm §
48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X und § 330 Abs 3 SGB III. Hiernach ist ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hier der Bescheid vom 4.10.2007 - mit
Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Erlass
des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder
zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Eine wesentliche
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt nicht vor. Der Kläger hat
auch im März 2008 weiterhin Anspruch auf SGB II-Leistungen in der vom
LSG ermittelten Höhe unter Berücksichtigung angemessener KdU in Höhe von
245,56 Euro ohne Berücksichtigung des Einkommens aus der
Teilzeitbeschäftigung, weil neben den weiteren Absetzbeträgen auch die
Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn in vollem Umfang
einkommensmindernd zu berücksichtigen ist.
12
4. Nach Maßgabe
der §§ 11 Abs 2 SGB II, 30 SGB II sowie § 6 der Verordnung zur
Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen
und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld-Verordnung
von 496,97 Euro abzusetzenden Betrag in Höhe von 502,53 Euro zutreffend
ermittelt. Sie hat neben dem Freibetrag bei Erwerbstätigkeit nach § 11
Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II iVm § 30 SGB II in Höhe von 100 Euro einen
Pauschbetrag für private Versicherungen in Höhe von 30 Euro (§ 6 Abs 1
Nr 1 Alg II-V), eine allgemeine Werbungskostenpauschale in Höhe von
15,33 Euro monatlich (§ 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V) und 112,20 Euro
monatlich an pauschalierten Fahrtkosten berücksichtigt (§ 6 Abs 1 Nr 3
Buchst b Alg II-V). Dabei hat sie die Entfernung des Klägers zwischen
seinem Zweitwohnsitz in L und der Arbeitsstelle (37,4 km), 15 Fahrtage
pro Monat und 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer zugrunde gelegt.
Ergänzend zu dem so errechneten Absetzbetrag in Höhe von 157,53 Euro
sind der Grundfreibetrag in Höhe von 100 Euro (vgl § 30 SGB II) und die
Unterhaltszahlungen des Klägers in Abzug zu bringen, sodass sich ein
Gesamtbetrag in Höhe von 502,53 Euro ergibt, der das Nettoeinkommen des
Klägers in Höhe von 496,47 Euro übersteigt.
13
5. a) Die
Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn sind von seinem
Erwerbseinkommen abzuziehen. Insofern bestimmt § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7
SGB II, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher
Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in
einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag
vom Einkommen abzusetzen sind. Nach den Feststellungen des LSG hat der
Kläger den in der Unterhaltsurkunde festgelegten Unterhalt im streitigen
Zeitraum tatsächlich geleistet (zu diesem Erfordernis: BSG Urteil vom
30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 24). Dies hat
seine geschiedene Ehefrau mit schriftlicher Erklärung vom 18.7.2008
bestätigt. Bei der vor dem Jugendamt des Landkreises B unterzeichneten
Unterhaltsurkunde vom 29.2.2008 handelt es sich um einen Unterhaltstitel
iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II (b). Die Unterhaltszahlungen des
Klägers erfolgten auch zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten
(c). Die Absetzbarkeit der Unterhaltsbeträge nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7
SGB II hängt nicht davon ab, ob und ggf in welchem Umfang das im Rahmen
des SGB II zu berücksichtigende Einkommen wegen der titulierten
Unterhaltsverpflichtungen pfändbar ist (d). Die Nichtberücksichtigung
der tatsächlichen Unterhaltszahlungen ergibt sich auch nicht daraus,
dass der Kläger auf eine Abänderung des Unterhaltstitels hinwirken muss
(e).
14
b) Ein Unterhaltstitel iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7
SGB II liegt auch vor, wenn sich der Unterhaltsschuldner - wie hier -
mit einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt
verpflichtet. Den Gesetzesmaterialien ist der gesetzgeberische Wille zu
entnehmen, auch beim Jugendamt kostenfrei zu beschaffende
Unterhaltstitel gleichwertig zu anderen Unterhaltstiteln zu
berücksichtigen (BT-Drucks 16/1410 S 20). Nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3
SGB VIII ist die Urkundsperson beim Jugendamt befugt, die Verpflichtung
zur Erfüllung von Unterhaltsansprüchen eines Abkömmlings zu beurkunden,
sofern die unterhaltsberechtigte Person zum Zeitpunkt der Beurkundung
das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. § 60 SGB VIII bestimmt,
dass aus Urkunden, die eine Verpflichtung nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3
SGB VIII zum Gegenstand haben, die Zwangsvollstreckung stattfindet, wenn
die Erklärung die Zahlung einer bestimmten Geldsumme betrifft und der
Schuldner sich in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung
unterworfen hat (Satz 1). Auf die Zwangsvollstreckung sind die
Vorschriften, die für die Zwangsvollstreckung aus gerichtlichen Urkunden
nach § 794 Abs 1 Nr 5 ZPO gelten, grundsätzlich anwendbar (§ 60 Satz 3
SGB VII). Entsprechend diesen gesetzlichen Regelungen geht die
zivilgerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass Jugendamtsurkunden -
unabhängig von der Frage, ob ihnen eine von den Parteien getroffene
Unterhaltsvereinbarung oder ein einseitig verpflichtendes
Schuldversprechen des Unterhaltsschuldners zugrunde liegt -
Unterhaltstitel sind, die (ggf nur bei Änderung der tatsächlichen
Grundlagen des abzuändernden Titels, vgl hierzu Harms in JurisPR-FamR
12/2008 Anm 2) im Wege einer Abänderungsklage nach § 323 Abs 4 ZPO
verändert werden können (BGH Urteil vom 29.10.2003 - XII ZR 115/01 - NJW
2003, 3770; BGH Urteil vom 2.10.2002 - XII ZR 346/00 - FamRZ 2003, 304
ff; BGH Urteil vom 27.6.1984 - IVb ZR 21/83 - FamRZ 1984, 997 ff).
15
c)
aa) Der hier in der Unterhaltsurkunde vom 29.2.2008 für die Zeit ab
1.3.2008 vereinbarte Unterhalt in Höhe von 245 Euro dient der Erfüllung
gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB
II, weil der Kläger seinem Sohn gegenüber nach den Regelungen des
Verwandtenunterhalts nach den §§ 1601 ff BGB zum Unterhalt verpflichtet
ist. Insofern bringt die Verknüpfung der in einem Unterhaltstitel
fixierten Unterhaltsbeträge mit dem Erfordernis der "gesetzlichen
Unterhaltsverpflichtungen" in § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II zum Ausdruck,
dass jedenfalls "freiwillige Unterhaltszahlungen" ohne Titulierung (BSG
Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 2/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 4 RdNr 21)
und titulierte Unterhaltszahlungen, die nicht auf einer gesetzlichen
Verpflichtung beruhen, nicht als Absetzbeträge vom Einkommen
berücksichtigt werden können (vgl BSG Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS
10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25).
16
bb) Die
grundsätzliche Anknüpfung der Höhe des abzusetzenden Unterhaltsbetrags
an den titulierten Unterhaltsanspruch folgt aus dem Wortlaut des § 11
Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II. Indem der Gesetzgeber des SGB II für die Höhe
des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den in einem
Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch als Obergrenze für die
Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Abzugsbetrag anknüpft,
unterstellt er im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der
SGB II-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein
nach Maßgabe der §§ 1601 ff BGB gegebener Unterhaltsanspruch auch in
der festgelegten Höhe besteht. Es bedarf daher regelmäßig keiner eigenen
Feststellungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder
der Sozialgerichte zur Höhe des Unterhaltsanspruchs.
17
Diese
nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II
vorgesehene Anknüpfung an einen Unterhaltstitel für die Ermittlung der
vom Einkommen absetzbaren Unterhaltszahlungen entspricht der
Rechtsprechung des BSG zur Abzweigung nach § 48 SGB I. Nach § 48 Abs 1
Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des
Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den
Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden,
wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht
nachkommt. Konkrete Feststellungen der Sozialleistungsträger bzw der
Gerichte zur Unterhaltspflicht, insbesondere zur Leistungsfähigkeit des
Hilfebedürftigen, erfolgen nur dann, wenn keine gerichtliche
Entscheidung oder verbindliche Vereinbarung über den zu leistenden
Unterhalt vorliegt (BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 34/07 R - SozR
4-1200 § 48 Nr 3, RdNr 15; BSGE 93, 203 = SozR 4-1200 § 48 Nr 1, jeweils
RdNr 17; BSG Urteil vom 8.7.2009 - B 11 AL 30/08 R - BSGE 104, 65 ff =
SozR 4-1200 § 48 Nr 4, jeweils RdNr 14). Dagegen bestimmt und begrenzt
ein rechtskräftiger Unterhaltstitel gleichzeitig die gesetzliche
Unterhaltspflicht iS des § 48 SGB I (BSG Urteil vom 7.10.2004 - B 11 AL
13/04 R - BSGE 93, 203 = SozR 4-1200 § 48 Nr 1, jeweils RdNr 16; SozR
1200 § 48 Nr 3;).
18
Die Anknüpfung an den titulierten
Anspruch gilt auch für durch Jugendamtsurkunden titulierte
Unterhaltsansprüche. Zwar ist - anders als bei Titulierung eines
Unterhaltstitels durch ein Urteil - bei Aufnahme einer
Unterhaltsverpflichtung in einer Urkunde des Jugendamtes eher denkbar,
dass Unterhaltspflichten als verbindlich fixiert werden, ohne dass deren
genaue Höhe im konkreten Einzelfall gerichtlich abschließend geklärt
und festgelegt worden ist (vgl OLG Hamm Urteil vom 28.4.2009 - II-13 UF
2/09, 13 UF 2/09 - NJW 2009, 3446 ff). Dies hat der Gesetzgeber mit dem
Bezug auf einen vorliegenden Unterhaltstitel und Verweis auf die
kostenfreie Titulierung von Unterhaltspflichten durch die
Inanspruchnahme von Jugendämtern jedoch ausdrücklich in Kauf genommen
(vgl BT-Drucks 16/1410 S 20). Hierbei dürfte auch zu berücksichtigen
sein, dass nur von dem Jugendamt konkret nach § 59 Abs 3 SGB VIII
ermächtigte Mitarbeiter zur Beurkundung von Unterhaltsverpflichtungen
nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II berechtigt sind. Diese Befugnis kann
nur Beamten oder Angestellten übertragen sein, die wegen ihrer
Kenntnisse des deutschen und ausländischen Familienrechts (Greßmann in
Hauck/Noftz, SGB VIII, § 59 RdNr 44 f, Stand September 2009) dafür
geeignet sind (§ 59 Abs 3 SGB VIII).
19
cc) Es ist hier nicht
zu entscheiden, ob von dieser grundsätzlichen Anknüpfung an den Inhalt
eines Unterhaltstitels eine Ausnahme zu machen ist, wenn der titulierte
Unterhalt offenbar dem Grunde oder seiner Höhe nach nicht der Erfüllung
einer gesetzlichen Unterhaltspflicht dienen kann. Im zu entscheidenden
Fall liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat seinem
minderjährigen Sohn gegenüber eine gesteigerte Unterhaltspflicht nach §
1603 Abs 2 BGB. Diese führt dazu, dass auch an seine Erwerbsobliegenheit
besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und der Verstoß gegen
diese Obliegenheiten familienrechtlich zur Annahme einer
unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit durch Anrechnung fiktiver
Einkünfte führen kann (vgl zB BGH Urteil vom 9.1.2008 - XII ZR 170/05 -
FamRZ 2008, 594; vgl zur Aufrechterhaltung einer nur auf der Grundlage
der Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens angenommenen
Leistungsfähigkeit: BGH Urteil vom 20.2.2008 - XII ZR 101/05 - FamRZ
2008, 872). Auch die Höhe des von dem Kläger mit der Unterhaltsurkunde
des Jugendamtes des Landkreises B vom 29.2.2008 anerkannten
Unterhaltsbetrags weicht nicht offenbar von gesetzlichen Vorgaben ab.
Der festgesetzte Betrag entspricht seiner Höhe nach dem untersten Betrag
der - nach Praxis der Familiengerichte (vgl Wendl/Staudigl, Das
Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl 2008, § 2
RdNr 122, 195, 205) - heranzuziehenden Düsseldorfer Tabelle (Stand
1.7.2007) sowie dem Regelbetrag nach der bis 31.12.2007 geltenden
Regelbetrag-Verordnung auf der Grundlage des § 1612a BGB aF in der
Altersstufe des Sohnes des Klägers (ab 1.7.2007 in Höhe von 245 Euro).
Der in der Urkunde des Jugendamtes fixierte Betrag liegt damit unterhalb
des ab 1.1.2008 geltenden Mindestunterhalts nach § 1612a BGB iVm § 36
Nr 4 Buchst b EGZPO für minderjährige Kinder in Höhe von 322 Euro.
20
d)
Der Abzug der in der Urkunde des Jugendamts vom 29.2.2008 titulierten
Unterhaltsbeträge erfolgt unabhängig von ihrer konkreten Pfändbarkeit.
Der Wortlaut des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II sowie auch dessen
Entstehungsgeschichte gibt für die zusätzliche Berücksichtigung der
Pfändbarkeit des Unterhaltsanspruchs im Sinne eines weiteren
"hinzuzudenkenden Tatbestandsmerkmals" keine Anhaltspunkte. § 11 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB II fordert nach seinem Wortlaut allein die Titulierung
von Unterhaltsansprüchen. Die (nur) titulierten Unterhaltsansprüche
werden bereits gepfändeten Aufwendungen zur Erfüllung von
Unterhaltspflichten, die von vorneherein nicht als verfügbares Einkommen
zu berücksichtigen sind (Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr
55), gleichgestellt (Hohm/Klaus in GK-SGB II, § 11 RdNr 325, Stand
Oktober 2008). Insofern ergibt sich aus der gesetzgeberischen Konzeption
des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II, dass hinsichtlich der durch einen
Unterhaltstitel festgelegten gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen
davon auszugehen ist, dass diese Beträge - tatsächliche
Unterhaltszahlungen vorausgesetzt (vgl zu diesem Erfordernis BSG Urteil
vom 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 24) -
insoweit als gebundene Teile des Einkommens auch unabhängig von ihrer
Pfändbarkeit angesehen werden sollen.
21
In der ursprünglichen
Fassung des § 11 Abs 2 SGB II bei Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005
hatte der Gesetzgeber zunächst keine Regelungen zur
einkommensmindernden Berücksichtigung von tatsächlichen
Unterhaltszahlungen an Dritte aufgenommen. Ausweislich der
Gesetzesmaterialien wollte er sich bei der Schaffung der Vorschriften
des SGB II zur Einkommensberücksichtigung an den bislang im
Sozialhilferecht geltenden Regelungen orientieren (vgl BT-Drucks 15/1516
S 53 zu § 11). Unter Geltung des § 76 Abs 2, Abs 2a BSHG war in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass "bloß"
titulierte Unterhaltsverpflichtungen nicht abgesetzt werden konnten.
Lediglich bereits zu Gunsten eines Unterhaltsanspruchs gepfändetes
Einkommen wurde als nicht "bereites Mittel" angesehen. Die
Privilegierung des gepfändeten Einkommens wurde zudem daran geknüpft,
dass eine Abwehr der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder
allenfalls im Wege eines langwierigen Rechtsmittelverfahrens möglich war
(BVerwG Urteil vom 15.12.1977 - V C 35.77 - BVerwGE 55, 148 ff, 151 f;
BVerwG Beschluss vom 2.7.1993 - 5 B 165/92 - NDV 1994, 41 f; Hessischer
VGH Urteil vom 24.1.1986 - IX OE 88/82 - FEVS 35, 447; OVG
Schleswig-Holstein Urteil vom 16.2.2002 - 2 L 137/01 - info also 2002,
129). Gleichfalls wies das BVerwG darauf hin, dass ein Unterschied
abhängig davon bestehen könne, ob der Unterhaltspflichtige die Mittel
(das anrechenbare Einkommen) von Anfang an ungeschmälert in der Hand
gehabt habe und vor der Frage stehe, sich in Erfüllung seiner
Unterhaltspflicht durch Leistung des Unterhalts hilfebedürftig zu machen
oder ob er das anrechenbare Einkommen infolge einer Pfändung
ungemindert in die Hand bekomme (BVerwGE 55, 148, 153).
22
Vor
dem Hintergrund der im SGB II neu geschaffenen Bedarfsgemeinschaft ist
die Absetzbarkeit von Unterhaltsansprüchen vom Einkommen nach
Inkrafttreten des SGB II am 1.1.2005 von der sozialgerichtlichen
Rechtsprechung zunächst unterschiedlich bewertet worden (vgl zB LSG
Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 11.1.2006 - L 1 B 36/05 AS ER, RdNr 3
gegen die Berücksichtigung von "nur" titulierten Unterhaltsansprüchen;
aA Sächsisches LSG Beschluss vom 1.2.2006 - L 3 B 162/05 AS ER). Im
politischen Raum wurde thematisiert, ob nicht eine dem Kindeswohl
unzuträgliche Belastung zwischen den Eltern eines Kindes aus einer
vorangegangenen Partnerschaft aber auch dem unterhaltspflichtigen
Elternteil und dem nicht in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kind
dadurch eintreten könne, dass dem Unterhalt für ein Kind aus einer
vorherigen Partnerschaft eine untergeordnete Priorität im Vergleich zu
dem "tatsächlichen Unterhalt" durch die Bedarfsgemeinschaft eingeräumt
werde (BT-Drucks 15/3694 S 19 f). Im Anschluss hat der Gesetzgeber mit
dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom
20.7.2006 (BGBl I 1706) mit Wirkung zum 1.8.2006 die jetzige Regelung
des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II in das Gesetz aufgenommen. Wie sich
der Gesetzesbegründung entnehmen lässt, sollen auch nicht gepfändete
Ansprüche, "die aber wegen eines titulierten Unterhaltsanspruchs
jederzeit gepfändet werden können" (vgl BT-Drucks 16/1410 S 20) das
Erwerbseinkommen mindern. Eine zeitbezogene Differenzierung der
Absetzbarkeit von Unterhaltsansprüchen im Hinblick auf den Zeitpunkt des
Eintritts der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II hat der Gesetzgeber
trotz der bekannten Rechtsprechung des BVerwG nicht in die Vorschrift
aufgenommen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er mit § 11
Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II jedenfalls auch den Vorrang von nur titulierten
gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gerade gegenüber leiblichen
minderjährigen Kindern außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem
Einsatz des Einkommens in einer Bedarfsgemeinschaft sicherstellen
wollte (vgl auch BSG Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R - BSGE 102,
76 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 42).
23
e) Entgegen
der Auffassung der Beklagten lässt sich ein Außerbetrachtlassen der
Unterhaltsverpflichtung des Klägers auch nicht aus seiner Pflicht zur
Eigenaktivität nach § 2 SGB II bzw dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 3
Abs 3 SGB II ableiten. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II haben
Hilfebedürftige in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen,
ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dürfen nach § 3 Abs 3 SGB
II nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig
beseitigt werden kann. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und ggf
inwieweit diesen Normen eine von den weiteren Vorschriften des SGB II
unabhängige Sanktions- bzw Kürzungsmöglichkeit entnommen werden kann,
weil § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II die von dem Kläger gewählte
Gestaltungsform ausdrücklich zulässt.
24
Zwar kann § 11 Abs 2
Satz 1 Nr 7 SGB II - wie vorliegend der Fall - bewirken, dass ein nur
auf der Grundlage einer familienrechtlichen Zurechnung eines fiktiven
Erwerbseinkommens bestehender titulierter Unterhaltsanspruch durch
dessen Absetzbarkeit vom Einkommen zu höheren SGB II-Leistungen für den
Hilfebedürftigen und die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft (vgl § 9
Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II) führt, wenn die Anforderungen des Trägers der
Grundsicherung für Arbeitsuchende an die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit geringer sind als die familienrechtlichen Anforderungen
an eine Erwerbsobliegenheit bei gesteigerter Unterhaltspflicht
gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs 2 BGB (vgl zum Umfang
der Erwerbsobliegenheiten zB BGH Urteil vom 3.12.2008 - XII ZR 182/06 -
FamRZ 2009, 314 ff). Dies wird jedoch mit einer allein auf die
Titulierung abstellenden typisierenden Regelung in Kauf genommen.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass mit dem Erfordernis der
Titulierung durch fachkundige familienrechtliche Stellen regelmäßig die
Beachtung unterhaltsrechtlicher Grundsätze, nach denen dem
Unterhaltspflichtigen jedenfalls der Betrag verbleiben muss, der seinen
eigenen Lebensbedarf nach sozialhilfe- bzw grundsicherungsrechtlichen
Grundsätzen sicherstellt (BGH Urteil vom 9.1.2008 - XII ZR 170/09 -
FamRZ 2008, 594; BGH Urteil vom 15.3.2006 - XII ZR 30/04 - BGHZ 166,
351, 356 = FamRZ 2006, 683, 684; BVerfG FamRZ 2001, 1685 f), angenommen
werden kann.
25
6. Da unter Berücksichtigung der Absetzbeträge
und der Unterhaltszahlungen kein anrechenbares Einkommen verbleibt, ist
die Revision der Beklagten auch zurückzuweisen, soweit sie sich dagegen
wehrt, dass die Vorinstanzen dem Kläger bei einem weiterhin in gleicher
Höhe bestehenden Bedarf für den Bewilligungszeitraum vom 1.4. bis
30.9.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
in voller Höhe zugesprochen haben.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=11911
Gruß Willi S
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