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Sanktionen bei U25 jährigen
Seite 1 von 1
Sanktionen bei U25 jährigen
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 05.01.2011,- L 2 AS 428/10 B ER -
Verfassungsrechtliche Anforderungen einer Sanktionsentscheidung bei Hartz IV - Leistungsbeziehern unter 25 Jahre
Ein
wichtiger Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II liegt vor, wenn
bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der
berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen mit etwa entgegenstehenden
Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen
gerechtfertigt ist, wobei persönliche, insbesondere familiäre oder
gesundheitliche Gründe im Vordergrund stehen (vgl. BSG v. 12.07.2006 – B
11a AL 55/05 R – Rn. 19). Trotz der Formulierung des § 31 Abs. 1 Satz 2
SGB II, dass der Hilfebedürftige die Voraussetzungen des Vorliegens
eines wichtigen Grundes nachzuweisen hat, wird die Pflicht
Leistungsträgers zur Erforschung des Sachverhalts gemäß §§ 40 Abs. 1, 20
SGB X (Amtsermittlungsgrundsatz) nicht aufgehoben.
Eine
Sanktion ist nur gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige sich aufgrund
einer konkreten, verständlichen, richtigen und vollständigen
Rechtsfolgenbelehrung über die Folgen der Pflichtverletzung informieren
konnte (vgl. auch BSG v. 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201,
211 – Rn. 36; BSG v. 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R – Rn. 22).
Dies
setzt unter anderem voraus, dass dem Hilfebedürftigen eine hinreichend
konkrete Belehrung zu den Folgen der konkreten Pflichtverletzung erteilt
wird, so dass ohne Vorkenntnisse bzw. eine Auswahl mehrerer
Möglichkeiten klar wird, welche Folgen im Einzelnen drohen (vgl. BSG v.
17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R – Rn. 22). Die Konkretisierung ist
unabhängig von der Person des Betroffenen vorzunehmen, so dass es nach
der hier gültigen Rechtslage nicht darauf ankommt, ob der Betroffene die
Rechtsfolgen wegen anderer Umstände hätte kennen müssen (vgl. BSG
a.a.O. Rn. 24; zu den Reformbestrebungen für § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II,
nach denen Kenntnis der Rechtsfolgen genügt vgl. Art. 2 Nr. 31 des
Gesetzesentwurfes zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfe und zur
Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs.
17/3404, S. 20).
Wegen der gravierenden Folgen einer
vollständigen Entziehung der monetären Grundsicherungsleistungen ist es
in der Regel notwendig, zugleich mit dieser Sanktionsentscheidung in
rechtsstaatlich nachprüfbarer Weise, d.h. in bzw. in unmittelbarer Nähe
mit dem Sanktionsverwaltungsakt durch Verwaltungsakt über die
ergänzenden Sachleistungen zu entscheiden.
Die Problematik
wird nicht einheitlich beurteilt (wie hier LSG Niedersachsen-Bremen v.
21.04.2010 - L 13 AS 100/10 B ER – info also 2010, 227 - Rn. 7; LSG
Nordrhein-Westfalen v. 09.09.2009 - L 7 B 211/09 AS ER -Rn. 15; LSG
Berlin-Brandenburg v. 16.12.2008 - L 10 B 2154/08 AS ER - Rn. 3; Berlit
in LPK-SGB II, § 31 Rn. 146; a.A. LSG Sachsen-Anhalt, 5. Senat v.
31.08.2009 – L 5 AS 287/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg vom 08.10.10 – L
29 AS 1420/10 B ER – Rn. 13; LSG Nordrhein-Westfalen v. 10.12.2009 – L 9
B 51/09 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen v. 16.11.2009 – L 5 AS 365/09 B
ER).
Aus verfassungsrechtlichen Erwägungen ist es geboten ,
trotz der vom Gesetzgeber aus erzieherischen Gründen beabsichtigten
(vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 61) harten Folgen der Sanktionen gegen
Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mit den
ergänzenden Sachleistungen zumindest das für den Lebensunterhalt
Unerlässliche zu gewähren, soweit eine Selbsthilfe nicht möglich ist und
auch keine Hilfe von Dritten erlangt werden kann. Nur so lässt sich die
Sanktionsfolge gegen diesen Personenkreis noch in verfassungsrechtlich
unbedenklicher, d.h. verhältnismäßiger Weise anwenden. Ein vollständiger
Ausschluss von staatlicher Hilfe trotz Hilfebedürftigkeit würde mit dem
Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1
des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sein. Deshalb sind die
Sanktionsfolgen, soweit dies im Ergebnis einer Prüfung der
Einzelfallumstände und bei Anhörung des Betroffenen notwendig ist,
unmittelbar mit der Sanktionsentscheidung selbst auf ein vertretbares
Maß zu begrenzen. Darüber hinaus entspricht eine verwaltungsförmliche
Entscheidung vor dem Sanktionsbeginn auch dem Gebot des effektiven
Rechtsschutzes. Wenn die Gewährung der ergänzenden Sachleistungen im
Einzelnen strittig ist, sollte eine Klärung auch dieser Fragen – ggf. im
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – noch vor dem Beginn des
Sanktionszeitraums und dem Einsetzen der Sanktionsfolgen möglich sein.
Der bloße Hinweis in der Sanktionsentscheidung, ergänzende
Sachleistungen könnten erbracht werden, beinhaltet keine
Ermessenbetätigung.
Es ist dem Jobcenter durchaus möglich,
bei der Prüfung einer Sanktionsentscheidung – etwa zugleich mit der
Anhörung des Betroffenen – den bereits absehbaren Umfang der notwendigen
ergänzenden Sachleistungen aufzuklären und dann ggf. über die Gewährung
zeitgleich mit der Sanktionsentscheidung zu entscheiden. Denkbar ist
auch eine Entscheidung zunächst nur dem Grunde nach, deren
Leistungsumfang in Form von Bezugsscheinen erst später konkretisiert
wird (vgl. Lauterbach in Spellbrink, Das SGB II in der Praxis der
Sozialgerichte – Bilanz und Perspektiven, 2010, S. 11 (39)). Dann wäre
der Vorbehalt, darüber hinausgehende Sachleistungen bei Bedarf zu
erbringen, auch nicht weiter schädlich. Bestehen etwa im Ergebnis der
Anhörung Anhaltspunkte, dass anderweitige Hilfemöglichkeiten bestehen,
wird eine entsprechend begründete Versagung in der Regel
ermessensgerecht sein und verhindert auch nicht, dass bei späterem neuem
Vorbringen dennoch ergänzende Sachleistungen gewährt werden können.
Wirkt der Betroffene nicht hinreichend mit, kann eine Versagung
ergänzender Sachleistungen ggf. auf die §§ 60, 66 SGB I gestützt werden.
In
einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 wurde von dem Landessozialgericht
Sachsen Anhalt nicht einmal ansatzweise geprüft, ob ein ersatzloser
Wegfall der Leistungen, d.h. Kürzung der Regelleistungen um 100%,
verfassungsgemäß ist (LSG Sachsen Anhalt, Beschluss vom 31.08.2009 - L 5
AS 287/09 B ER).
Der Anspruch auf Existenzssicherung nach Art.
1, 20 GG wurde vom Bundesverfassungsericht nicht am 09.02.2010 neu
erfunden, sondern bereits in einem Urteil vom 18.06.1975 1 BvL 4/74
festgestellt:
Zitat aus dieser Entscheidung: "Gewiß gehört die
Fürsorge für Hilfsbedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten eines
Sozialstaates (vgl. BVerfGE 5, 85 (198); 35, 202 (236)). Dies schließt
notwendig die soziale Hilfe für die Mitbürger ein, die wegen
körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen
Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu unterhalten.
Die staatliche Gemeinschaft muß ihnen jedenfalls die
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichern und sich
darüber hinaus bemühen, sie soweit möglich in die Gesellschaft
einzugliedern, ihre angemessene Betreuung in der Familie oder durch
Dritte zu fördern sowie die notwendigen Pflegeeinrichtungen zu
schaffen."
Neu in der Entscheidung vom 09.02.2010 ist nach meiner
vorläufigen Einschätzung nur, dass der Leistungsanspruch durch Gesetz
festgelegt werden muss.
In meinem Beitrag habe ich versucht, die Anforderungen an eine verfassungsmäßige Auslegung praktikabel zu machen.
Sozialgericht Kassel Urteil vom 01.03.2011, - S 6 AS 175/09 -, Berufung zugelassen
Bei
bestandskräftigen Vorsanktionen muss die Rechtmäßigkeit der
Vorsanktionen vom Gericht geprüft werden , denn insbesondere in Fällen,
in denen für die Gericht ohne Weiteres erkennbar ist, dass der
vorausgegangene Sanktionsbescheid rechtswidrig ist, würden die Gerichte
ihrer Pflicht, sich "schützend und fördernd vor die Grundrechte des
Einzelnen" zu stellen (BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05,
juris, Rn. 26), nicht gerecht, wenn sie "sehenden Auges" die
Rechtswidrigkeit des vorhergehenden Sanktionsbescheids unbeanstandet
lassen würden.
Dies hat nicht zur Folge, dass der vorhergehende
Sanktionsbescheid seinerseits Streitgegenstand wird. Die Gerichte habe
aber die Rechtmäßigkeit der vorhergehenden Sanktion, auf welche die
Sanktion wegen der wiederholter Pflichtverletzung aufbaut, von Amts
wegen inzident zu überprüfen (Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 3. A.
2009, § 31 Rn. 86). Fehlt es an einer rechtmäßigen Vorsanktion ist der
Sanktionsbescheid wegen wiederholter Pflichtverletzung rechtswidrig und
aufzuheben.
Bei Absenkungen der SGB II-Leistungen wegen
wiederholter Pflichtverletzung ist es erforderlich, dass entsprechende
vorausgehende Sanktionsbescheide existieren, die das Vorliegen eines
vorausgehenden Sanktionsereignisses und eines entsprechenden
Sanktionstatbestands auf der niedrigeren Sanktionsstufe feststellen(BSG
Urteil vom 09.11.2010, - B 4 AS 27/10 R, Rn. 20) .
Noch nicht
hinreichend geklärt ist innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung
die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidende Frage, ob es im
Falle eines Sanktionsbescheids wegen einer wiederholten
Pflichtverletzung bei einem bestandskräftigen Sanktionsbescheid auf der
ersten Sanktionsstufe ausreichend ist, dass ein entsprechender
bestandskräftiger Sanktionsbescheid vorliegt.
Nach Auffassung des
Bayerischen Landessozialgericht (LSG) sollen bei wiederholten
Pflichtverletzungen die bestandskräftigen vorausgehenden
Sanktionsbescheide Tatbestandswirkung entfalten (Bayerisches LSG,
Beschluss v. 26.04.2010, L 7 AS 212/10 B ER, Rn. 18), so dass der SGB
II-Leistungsträger nicht gehalten ist, den vorangegangenen
Sanktionsbescheid zu überprüfen.
Das LSG Berlin-Brandenburg
(Beschluss v. 12.10.2007, L 14 AS 1550/07 ER, Rn. 3) und das LSG
Niedersachsen-Bremen (Beschluss v. 22.06.2009, L 7 AS 266/09 B ER, Rn.
11 mit Hinweis auf BSG, SozR 3-4100 § 119 Nr.23) verlangen hingegen zu
Recht übereinstimmend mit Teilen des wissenschaftlichen Schrifttums
(vgl. Valgolio in: Hauck & Noftz (Hrsg.), SGB II, 13. Lfg. VII/07, §
31 Rn. 105; Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 3. A. 2009, § 31 Rn.
86), dass bei Sanktionen wegen wiederholter Pflichtverletzung
rechtmäßige Vorsanktionen auf den jeweils niedrigeren Stufen vorliegen.
1. welche Tatbestandswirkung geht von der ersten Sanktion aus und
2.
kann die wiederholte Sanktion als erstmalige Sanktion"überleben", wenn
sich die vorherige Sanktions als rechtswidrig herausstellt.
Die
Frage zu 1) möchte ich wie folgt beantworten: Zum Tatbestand der
wiederholten Sanktion gehört notwendig, dass vorher ein
Sanktionstatbestand verwirklich wurde. Diese Prüfung muss der
Leistungsträger vornehmen und diese unterliegt auch der kontrolle durch
das Gericht, denn es überprüft insgesamt die Rechtsmäßigkeit des
Verwaltungshandelns. Grundsätzlich ist der Leistungsträger auch bei
Feststellung einer wiederholten Sanktion von Amts wegen (§ 20 Abs.1 SGB
X) verpflichtet, eine bestandskräftige erste Sanktion zu überprüfen (§
44 Abs.1 S.1 SGB X). Ein Ausklammern der Rechtsmäßigkeitsprüfung des
Erstsanktion widerspricht der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung
in § 44 Abs.1 SGB X. Die These von der Tatbestandswirkung des
Erstbescheides wie in der zitierten Entscheidung des Bay LSG L 7 AS
212/10 B ER ist daher m.E. nicht haltbar.
Nun zur 2) m.E.
wichtigeren Frage:Die zweite Sanktion kann nicht als erste Sanktion
überleben, denn es fehlt hier an einem so wesentlichen
Tatbestandsmerkmal, dass m.E. die Sanktion insgesamt rechtswidirg wird
(§ 40 Abs. 4 SGB X entsprechend).
http://www.existenzsicherung.de/forum/viewtopic.php?f=7&t=9
Verfassungsrechtliche Anforderungen einer Sanktionsentscheidung bei Hartz IV - Leistungsbeziehern unter 25 Jahre
Ein
wichtiger Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II liegt vor, wenn
bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der
berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen mit etwa entgegenstehenden
Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen
gerechtfertigt ist, wobei persönliche, insbesondere familiäre oder
gesundheitliche Gründe im Vordergrund stehen (vgl. BSG v. 12.07.2006 – B
11a AL 55/05 R – Rn. 19). Trotz der Formulierung des § 31 Abs. 1 Satz 2
SGB II, dass der Hilfebedürftige die Voraussetzungen des Vorliegens
eines wichtigen Grundes nachzuweisen hat, wird die Pflicht
Leistungsträgers zur Erforschung des Sachverhalts gemäß §§ 40 Abs. 1, 20
SGB X (Amtsermittlungsgrundsatz) nicht aufgehoben.
Eine
Sanktion ist nur gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige sich aufgrund
einer konkreten, verständlichen, richtigen und vollständigen
Rechtsfolgenbelehrung über die Folgen der Pflichtverletzung informieren
konnte (vgl. auch BSG v. 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201,
211 – Rn. 36; BSG v. 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R – Rn. 22).
Dies
setzt unter anderem voraus, dass dem Hilfebedürftigen eine hinreichend
konkrete Belehrung zu den Folgen der konkreten Pflichtverletzung erteilt
wird, so dass ohne Vorkenntnisse bzw. eine Auswahl mehrerer
Möglichkeiten klar wird, welche Folgen im Einzelnen drohen (vgl. BSG v.
17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R – Rn. 22). Die Konkretisierung ist
unabhängig von der Person des Betroffenen vorzunehmen, so dass es nach
der hier gültigen Rechtslage nicht darauf ankommt, ob der Betroffene die
Rechtsfolgen wegen anderer Umstände hätte kennen müssen (vgl. BSG
a.a.O. Rn. 24; zu den Reformbestrebungen für § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II,
nach denen Kenntnis der Rechtsfolgen genügt vgl. Art. 2 Nr. 31 des
Gesetzesentwurfes zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfe und zur
Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs.
17/3404, S. 20).
Wegen der gravierenden Folgen einer
vollständigen Entziehung der monetären Grundsicherungsleistungen ist es
in der Regel notwendig, zugleich mit dieser Sanktionsentscheidung in
rechtsstaatlich nachprüfbarer Weise, d.h. in bzw. in unmittelbarer Nähe
mit dem Sanktionsverwaltungsakt durch Verwaltungsakt über die
ergänzenden Sachleistungen zu entscheiden.
Die Problematik
wird nicht einheitlich beurteilt (wie hier LSG Niedersachsen-Bremen v.
21.04.2010 - L 13 AS 100/10 B ER – info also 2010, 227 - Rn. 7; LSG
Nordrhein-Westfalen v. 09.09.2009 - L 7 B 211/09 AS ER -Rn. 15; LSG
Berlin-Brandenburg v. 16.12.2008 - L 10 B 2154/08 AS ER - Rn. 3; Berlit
in LPK-SGB II, § 31 Rn. 146; a.A. LSG Sachsen-Anhalt, 5. Senat v.
31.08.2009 – L 5 AS 287/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg vom 08.10.10 – L
29 AS 1420/10 B ER – Rn. 13; LSG Nordrhein-Westfalen v. 10.12.2009 – L 9
B 51/09 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen v. 16.11.2009 – L 5 AS 365/09 B
ER).
Aus verfassungsrechtlichen Erwägungen ist es geboten ,
trotz der vom Gesetzgeber aus erzieherischen Gründen beabsichtigten
(vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 61) harten Folgen der Sanktionen gegen
Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mit den
ergänzenden Sachleistungen zumindest das für den Lebensunterhalt
Unerlässliche zu gewähren, soweit eine Selbsthilfe nicht möglich ist und
auch keine Hilfe von Dritten erlangt werden kann. Nur so lässt sich die
Sanktionsfolge gegen diesen Personenkreis noch in verfassungsrechtlich
unbedenklicher, d.h. verhältnismäßiger Weise anwenden. Ein vollständiger
Ausschluss von staatlicher Hilfe trotz Hilfebedürftigkeit würde mit dem
Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1
des Grundgesetzes (GG) unvereinbar sein. Deshalb sind die
Sanktionsfolgen, soweit dies im Ergebnis einer Prüfung der
Einzelfallumstände und bei Anhörung des Betroffenen notwendig ist,
unmittelbar mit der Sanktionsentscheidung selbst auf ein vertretbares
Maß zu begrenzen. Darüber hinaus entspricht eine verwaltungsförmliche
Entscheidung vor dem Sanktionsbeginn auch dem Gebot des effektiven
Rechtsschutzes. Wenn die Gewährung der ergänzenden Sachleistungen im
Einzelnen strittig ist, sollte eine Klärung auch dieser Fragen – ggf. im
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – noch vor dem Beginn des
Sanktionszeitraums und dem Einsetzen der Sanktionsfolgen möglich sein.
Der bloße Hinweis in der Sanktionsentscheidung, ergänzende
Sachleistungen könnten erbracht werden, beinhaltet keine
Ermessenbetätigung.
Es ist dem Jobcenter durchaus möglich,
bei der Prüfung einer Sanktionsentscheidung – etwa zugleich mit der
Anhörung des Betroffenen – den bereits absehbaren Umfang der notwendigen
ergänzenden Sachleistungen aufzuklären und dann ggf. über die Gewährung
zeitgleich mit der Sanktionsentscheidung zu entscheiden. Denkbar ist
auch eine Entscheidung zunächst nur dem Grunde nach, deren
Leistungsumfang in Form von Bezugsscheinen erst später konkretisiert
wird (vgl. Lauterbach in Spellbrink, Das SGB II in der Praxis der
Sozialgerichte – Bilanz und Perspektiven, 2010, S. 11 (39)). Dann wäre
der Vorbehalt, darüber hinausgehende Sachleistungen bei Bedarf zu
erbringen, auch nicht weiter schädlich. Bestehen etwa im Ergebnis der
Anhörung Anhaltspunkte, dass anderweitige Hilfemöglichkeiten bestehen,
wird eine entsprechend begründete Versagung in der Regel
ermessensgerecht sein und verhindert auch nicht, dass bei späterem neuem
Vorbringen dennoch ergänzende Sachleistungen gewährt werden können.
Wirkt der Betroffene nicht hinreichend mit, kann eine Versagung
ergänzender Sachleistungen ggf. auf die §§ 60, 66 SGB I gestützt werden.
In
einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 wurde von dem Landessozialgericht
Sachsen Anhalt nicht einmal ansatzweise geprüft, ob ein ersatzloser
Wegfall der Leistungen, d.h. Kürzung der Regelleistungen um 100%,
verfassungsgemäß ist (LSG Sachsen Anhalt, Beschluss vom 31.08.2009 - L 5
AS 287/09 B ER).
Der Anspruch auf Existenzssicherung nach Art.
1, 20 GG wurde vom Bundesverfassungsericht nicht am 09.02.2010 neu
erfunden, sondern bereits in einem Urteil vom 18.06.1975 1 BvL 4/74
festgestellt:
Zitat aus dieser Entscheidung: "Gewiß gehört die
Fürsorge für Hilfsbedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten eines
Sozialstaates (vgl. BVerfGE 5, 85 (198); 35, 202 (236)). Dies schließt
notwendig die soziale Hilfe für die Mitbürger ein, die wegen
körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen
Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu unterhalten.
Die staatliche Gemeinschaft muß ihnen jedenfalls die
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichern und sich
darüber hinaus bemühen, sie soweit möglich in die Gesellschaft
einzugliedern, ihre angemessene Betreuung in der Familie oder durch
Dritte zu fördern sowie die notwendigen Pflegeeinrichtungen zu
schaffen."
Neu in der Entscheidung vom 09.02.2010 ist nach meiner
vorläufigen Einschätzung nur, dass der Leistungsanspruch durch Gesetz
festgelegt werden muss.
In meinem Beitrag habe ich versucht, die Anforderungen an eine verfassungsmäßige Auslegung praktikabel zu machen.
Sozialgericht Kassel Urteil vom 01.03.2011, - S 6 AS 175/09 -, Berufung zugelassen
Bei
bestandskräftigen Vorsanktionen muss die Rechtmäßigkeit der
Vorsanktionen vom Gericht geprüft werden , denn insbesondere in Fällen,
in denen für die Gericht ohne Weiteres erkennbar ist, dass der
vorausgegangene Sanktionsbescheid rechtswidrig ist, würden die Gerichte
ihrer Pflicht, sich "schützend und fördernd vor die Grundrechte des
Einzelnen" zu stellen (BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05,
juris, Rn. 26), nicht gerecht, wenn sie "sehenden Auges" die
Rechtswidrigkeit des vorhergehenden Sanktionsbescheids unbeanstandet
lassen würden.
Dies hat nicht zur Folge, dass der vorhergehende
Sanktionsbescheid seinerseits Streitgegenstand wird. Die Gerichte habe
aber die Rechtmäßigkeit der vorhergehenden Sanktion, auf welche die
Sanktion wegen der wiederholter Pflichtverletzung aufbaut, von Amts
wegen inzident zu überprüfen (Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 3. A.
2009, § 31 Rn. 86). Fehlt es an einer rechtmäßigen Vorsanktion ist der
Sanktionsbescheid wegen wiederholter Pflichtverletzung rechtswidrig und
aufzuheben.
Bei Absenkungen der SGB II-Leistungen wegen
wiederholter Pflichtverletzung ist es erforderlich, dass entsprechende
vorausgehende Sanktionsbescheide existieren, die das Vorliegen eines
vorausgehenden Sanktionsereignisses und eines entsprechenden
Sanktionstatbestands auf der niedrigeren Sanktionsstufe feststellen(BSG
Urteil vom 09.11.2010, - B 4 AS 27/10 R, Rn. 20) .
Noch nicht
hinreichend geklärt ist innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung
die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidende Frage, ob es im
Falle eines Sanktionsbescheids wegen einer wiederholten
Pflichtverletzung bei einem bestandskräftigen Sanktionsbescheid auf der
ersten Sanktionsstufe ausreichend ist, dass ein entsprechender
bestandskräftiger Sanktionsbescheid vorliegt.
Nach Auffassung des
Bayerischen Landessozialgericht (LSG) sollen bei wiederholten
Pflichtverletzungen die bestandskräftigen vorausgehenden
Sanktionsbescheide Tatbestandswirkung entfalten (Bayerisches LSG,
Beschluss v. 26.04.2010, L 7 AS 212/10 B ER, Rn. 18), so dass der SGB
II-Leistungsträger nicht gehalten ist, den vorangegangenen
Sanktionsbescheid zu überprüfen.
Das LSG Berlin-Brandenburg
(Beschluss v. 12.10.2007, L 14 AS 1550/07 ER, Rn. 3) und das LSG
Niedersachsen-Bremen (Beschluss v. 22.06.2009, L 7 AS 266/09 B ER, Rn.
11 mit Hinweis auf BSG, SozR 3-4100 § 119 Nr.23) verlangen hingegen zu
Recht übereinstimmend mit Teilen des wissenschaftlichen Schrifttums
(vgl. Valgolio in: Hauck & Noftz (Hrsg.), SGB II, 13. Lfg. VII/07, §
31 Rn. 105; Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 3. A. 2009, § 31 Rn.
86), dass bei Sanktionen wegen wiederholter Pflichtverletzung
rechtmäßige Vorsanktionen auf den jeweils niedrigeren Stufen vorliegen.
1. welche Tatbestandswirkung geht von der ersten Sanktion aus und
2.
kann die wiederholte Sanktion als erstmalige Sanktion"überleben", wenn
sich die vorherige Sanktions als rechtswidrig herausstellt.
Die
Frage zu 1) möchte ich wie folgt beantworten: Zum Tatbestand der
wiederholten Sanktion gehört notwendig, dass vorher ein
Sanktionstatbestand verwirklich wurde. Diese Prüfung muss der
Leistungsträger vornehmen und diese unterliegt auch der kontrolle durch
das Gericht, denn es überprüft insgesamt die Rechtsmäßigkeit des
Verwaltungshandelns. Grundsätzlich ist der Leistungsträger auch bei
Feststellung einer wiederholten Sanktion von Amts wegen (§ 20 Abs.1 SGB
X) verpflichtet, eine bestandskräftige erste Sanktion zu überprüfen (§
44 Abs.1 S.1 SGB X). Ein Ausklammern der Rechtsmäßigkeitsprüfung des
Erstsanktion widerspricht der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung
in § 44 Abs.1 SGB X. Die These von der Tatbestandswirkung des
Erstbescheides wie in der zitierten Entscheidung des Bay LSG L 7 AS
212/10 B ER ist daher m.E. nicht haltbar.
Nun zur 2) m.E.
wichtigeren Frage:Die zweite Sanktion kann nicht als erste Sanktion
überleben, denn es fehlt hier an einem so wesentlichen
Tatbestandsmerkmal, dass m.E. die Sanktion insgesamt rechtswidirg wird
(§ 40 Abs. 4 SGB X entsprechend).
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