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Schärfere Sanktionen bei unter 25-jährigen rechtlich nicht haltbar – Abschaffen Überhaupt Sanktionen Abschaffen!! !
Seite 1 von 1
Schärfere Sanktionen bei unter 25-jährigen rechtlich nicht haltbar – Abschaffen Überhaupt Sanktionen Abschaffen!! !
Unter 25-jährige Arbeitslosengeld-II-Berechtigte werden, so führt
Sofia Davilla aus, mehr als dreimal so häufig sanktioniert wie jene, die
das 25. Lebensjahr überschritten haben.[1] Dass sie obendrein sehr viel
härter sanktioniert werden als über 25-jährige ist – wie mehrfach,
unter anderem auch vom Bundesverwaltungsrichter Uwe Berlit (siehe
frühere Meldung in dieser Rubrik), moniert wurde – nicht nur
problematisch. Diese Sonderregelung ist offenkundig auch rechtlich nicht
haltbar. Die Rechtswissenschaftlerin Dr. Sofia Davilla plädiert
angesichts der Tatsache, dass mit den schärferen Sanktionen bei unter
25-jährigen gegen drei zentrale Rechtsnormen verstoßen wird, für deren
ersatzlose Abschaffung.[2] Sie zeigt auf, „dass § 31 Abs. 5 SGB II nicht
nur einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Sicherung
des menschenwürdigen Existenzminimums darstellt (…), sondern auch nicht
im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
sowie dem unionsrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung gem. Art.
21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) steht“. (S. 557)
Ausgangspunkt
für Davillas Argumentation ist das Regelsatzurteil des
Bundesverfassungs-gerichts vom 9.2.2010. Wer nun vorschnell meint, die
Autorin deute das Urteil so, als habe das Gericht auch die
Sanktionsregelungen als nicht verfassungskonform eingestuft, der irrt.
Das BVerG hat sich weder zu Sanktionen noch zu irgendeiner notwendig zu
gewährleisten-den Höhe des Regelsatzes geäußert. Davilla zeigt vielmehr
auf, welche Folgerungen sich aus dem Urteil für die Problematik der
schärferen Sanktionen gegen unter 25-jährige ableiten lassen.
Das
BVerG hatte bekanntlich am „9.2.2010 zum ersten Mal ein Grundrecht auf
Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG
i.V.m. dem Sozialstaats-prinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG ausdrücklich
anerkannt und jedem Einzelnen einen unmittel-baren aus der Verfassung
abgeleiteten Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines
men-schenwürdigen Existenzminimums zugesprochen“ (S. 558). Damit
zusammenhängend hat es „dem Gesetzgeber die Beachtung der Gebote der
Folgerichtigkeit und der Transparenz auferlegt.“ (S. 558) Das
Transparenzgebot erfordert die nachvollziehbare Offenlegung der
Verfahren zur Festlegung der Regelleistung. Mit dem Gebot der
Folgerichtigkeit schreibt das BVerfG dem Gesetzgeber vor, nicht nur „ein
taugliches Berechnungsverfahren aus(zu)wählen und die erforderlichen
Daten vollständig und zutreffend (zu) ermitteln“, son-dern auch
„Abweichungen von der gewählten Methode sachlich (zu) rechtfertigen.“
(S. 558)
Dem Gesetzgeber sind damit höhere Anforderungen bei der
Bestimmung des Existenzmini-mums auferlegt, die auch Auswirkungen auf
die Sanktionsregelungen haben.
Sofia Davilla betrachtet sodann die Bedeutung des Urteils für das Sanktionssystem gegen junge Erwachsene.
Erstens
ergebe sich aus der Tatsache, dass das Gericht die Höhe der
Regelleistung nicht als verfassungswidrig einstufte[3], dass auch
weiterhin sanktioniert werden könne (S. 558).
Bezugnehmend auf
frühere Grundsatzurteile führt sie aus, dass die „Menschenwürde und das
Sozialstaatsprinzip (..) eine Untergrenze des Existenzminimums
fest(legen), die nicht unterschritten werden darf In Bezug auf die
Sanktionen des SGB II bedeutet das, dass der Hilfebedürftige durch die
Verhängung von Sanktionen nicht in elendige Lebensumstände geraten oder
zum Betteln gezwungen werden darf.“ (S. 559)
Zweitens – und dies
ist für den Fortgang der Argumentation entscheidend – könne aus dem
Gebot der Folgerichtigkeit der Schluss gezogen werden, „dass der
Gesetzgeber ein Abwei-chen vom ausgewählten Sanktionssystem sachlich
rechtfertigen muss. Allein eine pseudoer-zieherische Wirkung sollte
nicht ausreichen, um abweichend vom allgemeinen Sanktionssys-tem
deutlich härtere Sanktionen für Hilfebedürftige unter 25 Jahren
einzuführen. Vielmehr sollte der Gesetzgeber realitätsgerecht und
nachvollziehbar nachweisen, ob tatsächlich die schärferen Sanktionen zu
einer schnelleren Beendigung der Arbeitslosigkeit bzw.
Hilfebe-dürftigkeit führen.“ (S. 559)
Gemessen an diesen
verfassungsrechtlichen Vorgaben greife, so Davilla, „§ 31 Abs. 5 SGB II
für sich genommen in unverhältnismäßiger Weise in das menschenwürdige
Existenzmini-mum ein. Denn schon beim ersten Obliegenheitsverstoß wird
die Regelleistung auf null
abgesenkt.“ (S. 559)
Aber was folgt
daraus? Mit Blick auf das bundesdeutsche Rechtssystem und den
vorherr-schenden „Mainstream“ ist an dieser Stelle erneut davor zu
warnen, hier voreilige Schlüsse zu ziehen.
Und auch Sofia Davilla tut
dies nicht. Gilt doch weithin unter JuristInnen, dass „nach gelten-dem
Recht (..) eine verfassungskonforme Anwendung des § 31 Abs. 5 SGB II
möglich (ist), um einen rechtswidrigen Eingriff in das Existenzminimum
zu vermeiden. Dies erfolgt durch die ergänzende Erbringung von
Sachleistungen nach § 31 Abs. 5 Satz 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 6 SGB II“. (S.
559) In anderen Worten: Die diesbezügliche Verfassungswidrigkeit der
scharfen Sanktionsregelung gegen unter 25-jährige könne „durch ein
systematisches Zusammenspiel mit der ergänzenden Erbringung von
Sachleistungen (…) in der Praxis vermieden werden. Deswegen“, so
Davilla, sei „die Vorschrift unter dem Blickwinkel des Eingriffs in das
Exis-tenzminimum zwar rechtspolitisch äußerst bedenklich, aber noch
nicht nichtig. Die Nichtigkeit des § 31 Abs. 5 SGB II ergibt sich
vielmehr aus der sogleich vorzunehmenden Überprüfung dieser Vorschrift
am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG und des europarechtlichen
Diskriminie-rungsverbots aufgrund des Alters.“ (S. 559)
Einschlägig sei hier ausschließlich der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.
Bezüglich
der Frage, wie streng bei der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG die
Verhältnismäßig-keitsprüfung durchzuführen sei, argumentiert Davilla: Da
es sich bei der Sonderbehandlung von unter 25-jährigen „um eine
personenbezogene unterschiedliche Behandlung (handelt) nach einem
Kriterium, nämlich dem des Alters, das sich den Unterscheidungsmerkmalen
des Art. 3 Abs. 3 GG annähert und von den Betroffenen nicht
beeinflussbar oder änderbar ist“, habe „eine strengere
Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen, weil die Gefahr groß ist, dass
es zu einer Diskriminierung kommt“.[4] (S. 560) Für das Anlegen eines
strengeren Prü-fungsmaßstabes spreche außerdem „das ausdrückliche Verbot
der Diskriminierung aufgrund des Alters in Art. 21 Abs. 1 GRCh.“ (ebd.,
Grundrechtecharta der Europäischen Union)
Von diesen
grundsätzlichen Überlegungen ausgehend sei „zu prüfen, ob für die
Differenzie-rung nach dem Lebensalter in § 31 Abs. 5 SGB II Gründe von
solcher Art und solchem Ge-wicht bestehen, dass sie die ungleichen
Rechtsfolgen für über und unter 25-jährige rechtfer-tigen können. Die
unterschiedliche Behandlung muss also einem legitimen Ziel dienen sowie
geeignet, erforderlich und angemessen sein“. (S. 560)
Davilla
erachtet die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele grundsätzlich als
„legitim“, und sie hält auch „die unterschiedliche Behandlung
grundsätzlich“ für „geeignet, jüngere Menschen zur Arbeits- und
Ausbildungssuche zu motivieren.“(S. 561) Dazu stellt sie fest: „Unter
Androhung der drastischen Kürzung von Leistungen und ihrer Streichung im
Fall der wiederholten Pflichtverletzung dürfte jeder rational denkende
Hilfebedürftige – egal welchen Alters – sein Verhalten im Zweifel eher
obliegenheitskonform ausrichten. Allerdings“, so Davilla weiter, „ist
zweifelhaft, ob die unterschiedliche Behandlung überhaupt erforderlich
ist. Denn das gleiche Ergebnis kann durch die intensive Betreuung von
jungen Hilfebedürftigen erreicht werden, ohne dass dies gleich mit einer
schärferen Sanktion verbunden wird.“ (S. 561)
Zudem stelle „das 25.
Lebensjahr (…) keine nachvollziehbare Altersgrenze für die
Rechtfer-tigung von schärferen Sanktionen dar. Sie ist willkürlich
eingezogen worden.“ (S. 561)
Insgesamt kann Davilla „zwischen
jüngeren und älteren Hilfebedürftigen keine Unterschiede von solcher Art
und solchem Gewicht“ erkennen, „die eine unterschiedliche Behandlung
rechtfertigen. Somit kann die Ungleichbehandlung von Hilfebedürftigen
über und unter 25 Jahren nicht gerechtfertigt werden und verstößt daher
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)“ (S. 561).
Des
weiteren arbeitet Davilla heraus, dass die schärferen Sanktionen gegen
unter 25-jährige „mangels Erforderlichkeit (…) auch gegen das
unionsrechtliche Verbot der Altersdis-kriminierung gem. Art. 21 Abs. 1
GRCh. i.V.m. Art. 51 Abs. 1 GRCh“ (S. 564) verstoßen. Zur Reichweite des
Unionsrechts in Bezug auf die untersuchten SGB-II-Sanktionen schreibt
Da-villa: „Allerdings kann das unionsrechtliche Verbot der
Altersdiskriminierung (…) nur im Fall grenzüberschreitender Sachverhalte
in Betracht kommen. Das bedeutet, dass für hieraus weiterhin
resultierende Inländerdiskriminierung das nationale Recht maßgebend
bleibt“ (S. 564).
Dass Davillas (aus juristischer Perspektive)
mutiges und rechtlich nur konsequentes Plädoyer für die Abschaffung der
schärferen Sanktionen gegen unter 25-jährige in der abschließenden
Feststellung mündet, dass „das allgemeine, altersneutral ausgestaltete
Sanktions-svstem des § 31 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II auf unter 25-jährige
Hilfebedürftige zu übertragen (ist)“ (S. 564), sollte weder verwundern
noch enttäuschen. Damit folgt sie „nur“ der inneren Logik ihrer
rechtssystematischen Betrachtung und Analyse.
Eine eingehende
Auseinandersetzung mit der Praxis des angewandten Sanktions(un)rechts
würde sie hoffentlich ermuntern, die Forderung nach einem
Sanktionsmoratorium zu unter-stützen.
Fußnoten
[1] Sofia
Davilla (2010): Die schärferen Sanktionen im SGB II für Hilfebedürftige
unter 25 Jahren – ein Plä-doyer für ihre Abschaffung, in: Die
Sozialgerichtsbarkeit (SGb), Zeitschrift für das aktuelle Sozialrecht,
Ausgabe 10/2010, S. 557 – 564; siehe S. 561
[2] ebd., S. 557
[3]
Das Gericht hatte wiederholt die Höhe der Regelleistung als „nicht
evident unzureichend“ bezeichnet. Anders verhielt es sich allerdings mit
so genannten unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen
Bedarfen, die im Regelsatz nicht enthalten waren/sind. Hier war die
Leistungsregelung durchaus verfassungswidrig, weshalb das Gericht einen
unmittelbaren Anspruch auf Bedarfsdeckung zuerkannte und der Gesetzgeber
schnell eine Härtefallregelung verabschiedete.
[4] Die
Unterscheidungsmerkmale nach Art. 3 Abs. 3 GG sind Geschlecht,
Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse oder
politische Anschauung.
http://www.sanktionsmoratorium.de/html/themen/themen_text_2.php?zid=253
Sofia Davilla aus, mehr als dreimal so häufig sanktioniert wie jene, die
das 25. Lebensjahr überschritten haben.[1] Dass sie obendrein sehr viel
härter sanktioniert werden als über 25-jährige ist – wie mehrfach,
unter anderem auch vom Bundesverwaltungsrichter Uwe Berlit (siehe
frühere Meldung in dieser Rubrik), moniert wurde – nicht nur
problematisch. Diese Sonderregelung ist offenkundig auch rechtlich nicht
haltbar. Die Rechtswissenschaftlerin Dr. Sofia Davilla plädiert
angesichts der Tatsache, dass mit den schärferen Sanktionen bei unter
25-jährigen gegen drei zentrale Rechtsnormen verstoßen wird, für deren
ersatzlose Abschaffung.[2] Sie zeigt auf, „dass § 31 Abs. 5 SGB II nicht
nur einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Sicherung
des menschenwürdigen Existenzminimums darstellt (…), sondern auch nicht
im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
sowie dem unionsrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung gem. Art.
21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) steht“. (S. 557)
Ausgangspunkt
für Davillas Argumentation ist das Regelsatzurteil des
Bundesverfassungs-gerichts vom 9.2.2010. Wer nun vorschnell meint, die
Autorin deute das Urteil so, als habe das Gericht auch die
Sanktionsregelungen als nicht verfassungskonform eingestuft, der irrt.
Das BVerG hat sich weder zu Sanktionen noch zu irgendeiner notwendig zu
gewährleisten-den Höhe des Regelsatzes geäußert. Davilla zeigt vielmehr
auf, welche Folgerungen sich aus dem Urteil für die Problematik der
schärferen Sanktionen gegen unter 25-jährige ableiten lassen.
Das
BVerG hatte bekanntlich am „9.2.2010 zum ersten Mal ein Grundrecht auf
Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG
i.V.m. dem Sozialstaats-prinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG ausdrücklich
anerkannt und jedem Einzelnen einen unmittel-baren aus der Verfassung
abgeleiteten Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines
men-schenwürdigen Existenzminimums zugesprochen“ (S. 558). Damit
zusammenhängend hat es „dem Gesetzgeber die Beachtung der Gebote der
Folgerichtigkeit und der Transparenz auferlegt.“ (S. 558) Das
Transparenzgebot erfordert die nachvollziehbare Offenlegung der
Verfahren zur Festlegung der Regelleistung. Mit dem Gebot der
Folgerichtigkeit schreibt das BVerfG dem Gesetzgeber vor, nicht nur „ein
taugliches Berechnungsverfahren aus(zu)wählen und die erforderlichen
Daten vollständig und zutreffend (zu) ermitteln“, son-dern auch
„Abweichungen von der gewählten Methode sachlich (zu) rechtfertigen.“
(S. 558)
Dem Gesetzgeber sind damit höhere Anforderungen bei der
Bestimmung des Existenzmini-mums auferlegt, die auch Auswirkungen auf
die Sanktionsregelungen haben.
Sofia Davilla betrachtet sodann die Bedeutung des Urteils für das Sanktionssystem gegen junge Erwachsene.
Erstens
ergebe sich aus der Tatsache, dass das Gericht die Höhe der
Regelleistung nicht als verfassungswidrig einstufte[3], dass auch
weiterhin sanktioniert werden könne (S. 558).
Bezugnehmend auf
frühere Grundsatzurteile führt sie aus, dass die „Menschenwürde und das
Sozialstaatsprinzip (..) eine Untergrenze des Existenzminimums
fest(legen), die nicht unterschritten werden darf In Bezug auf die
Sanktionen des SGB II bedeutet das, dass der Hilfebedürftige durch die
Verhängung von Sanktionen nicht in elendige Lebensumstände geraten oder
zum Betteln gezwungen werden darf.“ (S. 559)
Zweitens – und dies
ist für den Fortgang der Argumentation entscheidend – könne aus dem
Gebot der Folgerichtigkeit der Schluss gezogen werden, „dass der
Gesetzgeber ein Abwei-chen vom ausgewählten Sanktionssystem sachlich
rechtfertigen muss. Allein eine pseudoer-zieherische Wirkung sollte
nicht ausreichen, um abweichend vom allgemeinen Sanktionssys-tem
deutlich härtere Sanktionen für Hilfebedürftige unter 25 Jahren
einzuführen. Vielmehr sollte der Gesetzgeber realitätsgerecht und
nachvollziehbar nachweisen, ob tatsächlich die schärferen Sanktionen zu
einer schnelleren Beendigung der Arbeitslosigkeit bzw.
Hilfebe-dürftigkeit führen.“ (S. 559)
Gemessen an diesen
verfassungsrechtlichen Vorgaben greife, so Davilla, „§ 31 Abs. 5 SGB II
für sich genommen in unverhältnismäßiger Weise in das menschenwürdige
Existenzmini-mum ein. Denn schon beim ersten Obliegenheitsverstoß wird
die Regelleistung auf null
abgesenkt.“ (S. 559)
Aber was folgt
daraus? Mit Blick auf das bundesdeutsche Rechtssystem und den
vorherr-schenden „Mainstream“ ist an dieser Stelle erneut davor zu
warnen, hier voreilige Schlüsse zu ziehen.
Und auch Sofia Davilla tut
dies nicht. Gilt doch weithin unter JuristInnen, dass „nach gelten-dem
Recht (..) eine verfassungskonforme Anwendung des § 31 Abs. 5 SGB II
möglich (ist), um einen rechtswidrigen Eingriff in das Existenzminimum
zu vermeiden. Dies erfolgt durch die ergänzende Erbringung von
Sachleistungen nach § 31 Abs. 5 Satz 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 6 SGB II“. (S.
559) In anderen Worten: Die diesbezügliche Verfassungswidrigkeit der
scharfen Sanktionsregelung gegen unter 25-jährige könne „durch ein
systematisches Zusammenspiel mit der ergänzenden Erbringung von
Sachleistungen (…) in der Praxis vermieden werden. Deswegen“, so
Davilla, sei „die Vorschrift unter dem Blickwinkel des Eingriffs in das
Exis-tenzminimum zwar rechtspolitisch äußerst bedenklich, aber noch
nicht nichtig. Die Nichtigkeit des § 31 Abs. 5 SGB II ergibt sich
vielmehr aus der sogleich vorzunehmenden Überprüfung dieser Vorschrift
am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG und des europarechtlichen
Diskriminie-rungsverbots aufgrund des Alters.“ (S. 559)
Einschlägig sei hier ausschließlich der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.
Bezüglich
der Frage, wie streng bei der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG die
Verhältnismäßig-keitsprüfung durchzuführen sei, argumentiert Davilla: Da
es sich bei der Sonderbehandlung von unter 25-jährigen „um eine
personenbezogene unterschiedliche Behandlung (handelt) nach einem
Kriterium, nämlich dem des Alters, das sich den Unterscheidungsmerkmalen
des Art. 3 Abs. 3 GG annähert und von den Betroffenen nicht
beeinflussbar oder änderbar ist“, habe „eine strengere
Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen, weil die Gefahr groß ist, dass
es zu einer Diskriminierung kommt“.[4] (S. 560) Für das Anlegen eines
strengeren Prü-fungsmaßstabes spreche außerdem „das ausdrückliche Verbot
der Diskriminierung aufgrund des Alters in Art. 21 Abs. 1 GRCh.“ (ebd.,
Grundrechtecharta der Europäischen Union)
Von diesen
grundsätzlichen Überlegungen ausgehend sei „zu prüfen, ob für die
Differenzie-rung nach dem Lebensalter in § 31 Abs. 5 SGB II Gründe von
solcher Art und solchem Ge-wicht bestehen, dass sie die ungleichen
Rechtsfolgen für über und unter 25-jährige rechtfer-tigen können. Die
unterschiedliche Behandlung muss also einem legitimen Ziel dienen sowie
geeignet, erforderlich und angemessen sein“. (S. 560)
Davilla
erachtet die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele grundsätzlich als
„legitim“, und sie hält auch „die unterschiedliche Behandlung
grundsätzlich“ für „geeignet, jüngere Menschen zur Arbeits- und
Ausbildungssuche zu motivieren.“(S. 561) Dazu stellt sie fest: „Unter
Androhung der drastischen Kürzung von Leistungen und ihrer Streichung im
Fall der wiederholten Pflichtverletzung dürfte jeder rational denkende
Hilfebedürftige – egal welchen Alters – sein Verhalten im Zweifel eher
obliegenheitskonform ausrichten. Allerdings“, so Davilla weiter, „ist
zweifelhaft, ob die unterschiedliche Behandlung überhaupt erforderlich
ist. Denn das gleiche Ergebnis kann durch die intensive Betreuung von
jungen Hilfebedürftigen erreicht werden, ohne dass dies gleich mit einer
schärferen Sanktion verbunden wird.“ (S. 561)
Zudem stelle „das 25.
Lebensjahr (…) keine nachvollziehbare Altersgrenze für die
Rechtfer-tigung von schärferen Sanktionen dar. Sie ist willkürlich
eingezogen worden.“ (S. 561)
Insgesamt kann Davilla „zwischen
jüngeren und älteren Hilfebedürftigen keine Unterschiede von solcher Art
und solchem Gewicht“ erkennen, „die eine unterschiedliche Behandlung
rechtfertigen. Somit kann die Ungleichbehandlung von Hilfebedürftigen
über und unter 25 Jahren nicht gerechtfertigt werden und verstößt daher
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)“ (S. 561).
Des
weiteren arbeitet Davilla heraus, dass die schärferen Sanktionen gegen
unter 25-jährige „mangels Erforderlichkeit (…) auch gegen das
unionsrechtliche Verbot der Altersdis-kriminierung gem. Art. 21 Abs. 1
GRCh. i.V.m. Art. 51 Abs. 1 GRCh“ (S. 564) verstoßen. Zur Reichweite des
Unionsrechts in Bezug auf die untersuchten SGB-II-Sanktionen schreibt
Da-villa: „Allerdings kann das unionsrechtliche Verbot der
Altersdiskriminierung (…) nur im Fall grenzüberschreitender Sachverhalte
in Betracht kommen. Das bedeutet, dass für hieraus weiterhin
resultierende Inländerdiskriminierung das nationale Recht maßgebend
bleibt“ (S. 564).
Dass Davillas (aus juristischer Perspektive)
mutiges und rechtlich nur konsequentes Plädoyer für die Abschaffung der
schärferen Sanktionen gegen unter 25-jährige in der abschließenden
Feststellung mündet, dass „das allgemeine, altersneutral ausgestaltete
Sanktions-svstem des § 31 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II auf unter 25-jährige
Hilfebedürftige zu übertragen (ist)“ (S. 564), sollte weder verwundern
noch enttäuschen. Damit folgt sie „nur“ der inneren Logik ihrer
rechtssystematischen Betrachtung und Analyse.
Eine eingehende
Auseinandersetzung mit der Praxis des angewandten Sanktions(un)rechts
würde sie hoffentlich ermuntern, die Forderung nach einem
Sanktionsmoratorium zu unter-stützen.
Fußnoten
[1] Sofia
Davilla (2010): Die schärferen Sanktionen im SGB II für Hilfebedürftige
unter 25 Jahren – ein Plä-doyer für ihre Abschaffung, in: Die
Sozialgerichtsbarkeit (SGb), Zeitschrift für das aktuelle Sozialrecht,
Ausgabe 10/2010, S. 557 – 564; siehe S. 561
[2] ebd., S. 557
[3]
Das Gericht hatte wiederholt die Höhe der Regelleistung als „nicht
evident unzureichend“ bezeichnet. Anders verhielt es sich allerdings mit
so genannten unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen
Bedarfen, die im Regelsatz nicht enthalten waren/sind. Hier war die
Leistungsregelung durchaus verfassungswidrig, weshalb das Gericht einen
unmittelbaren Anspruch auf Bedarfsdeckung zuerkannte und der Gesetzgeber
schnell eine Härtefallregelung verabschiedete.
[4] Die
Unterscheidungsmerkmale nach Art. 3 Abs. 3 GG sind Geschlecht,
Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse oder
politische Anschauung.
http://www.sanktionsmoratorium.de/html/themen/themen_text_2.php?zid=253
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