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Ein findiger Anwalt findet immer was Immer mehr Klagen vor dem Sozialgericht Berlin-Mitte wegen der komplizierten Hartz-IV-Gesetze.
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Ein findiger Anwalt findet immer was Immer mehr Klagen vor dem Sozialgericht Berlin-Mitte wegen der komplizierten Hartz-IV-Gesetze.
"Das war doch ein Notfall! 375 Euro sind doch erlaubt!" Die junge
Frau in einer modischen Jeansjacke versteht die Welt nicht mehr. Vor ein
paar Monaten ist sie umgezogen. "Die Wand war schimmelig", sagt Tatjana
F. Direkt an ihrem Bett. Echt krass war das, da zu leben, sagt sie. Da
hat sie gekündigt und ist in eine Wohnung gezogen, die ihre Mutter
angemietet hat.
Tatjana F. lebt von Hartz IV. Deshalb sitzt
sie an diesem Tag hier, vor der Richterin in Saal 158 im ersten Stock
des Sozialgerichts in Berlin-Mitte. Das Jobcenter will die neue Miete
von 375 Euro nicht übernehmen und zahlt die alte Miete von 320 Euro
weiter. Denn Tatjana F. ist ohne Zustimmung des Jobcenters umgezogen.
Dagegen klagt sie nun. Ihre Mutter hat sie gleich mitgebracht. Das
Jobcenter habe gesagt, sie könne sich eine neue Wohnung suchen, beteuert
das Mädchen. Schriftlich hat sie das aber nicht. Fotos vom
Schimmelbefall? Briefe an den Vermieter? Nein, so etwas hat die Klägerin
nicht. "Man hat doch als Mieter Rechte", sagt die Richtern. Warum haben
sie dem Vermieter keine Frist gesetzt und die Miete gemindert?". Die
junge Frau zuckt mit den Achseln: "Das habe ich mich nicht getraut."
Dieser
Morgen ist kein guter Morgen für Mutter und Tochter. Ihre Klage werde
wohl kaum erfolgreich sein, erklärt ihnen die Richterin nach einer
Besprechung mit den Schöffen. Es wäre ihre Pflicht gewesen, die
Notwendigkeit des Umzuges nachzuweisen. "Das haben Sie nicht getan",
stellt die Richterin fest. Deshalb bleibt der Mietzuschuss weiter auf
320 Euro beschränkt. Die junge Frau fängt an zu weinen. "Wie soll sie
denn jetzt die Miete bezahlen", fragt ihre Mutter empört. Doch darauf
weiß die Richterin eine Antwort: "Da gibt es drei Möglichkeiten:
Entweder Sie verdienen sich etwas dazu, Sie sparen die 55 Euro an
anderer Stelle ein - oder Sie suchen sich eine billigere Wohnung, aber
diesmal mit Zustimmung des Jobcenters." Die junge Frau weint nun nicht
mehr. Wütend stapft sie mit ihrer Mutter aus dem Sitzungssaal.
Arbeit für 107 Kammern
Berlin
ist die Hauptstadt von Hartz IV und das Sozialgericht an der
Invalidenstraße das größte in Deutschland. In dem prächtigen Bau, im
Kaiserreich als Direktionsgebäude der Berlin-Hamburger
Eisenbahngesellschaft neben dem Hamburger Bahnhof errichtet, werden seit
30 Jahren die Alltagsprobleme der kleinen Leute verhandelt. Seit
Einführung von Hartz IV herrscht in dem Neorenaissance-Palast
Hochbetrieb. Mehr als 150.000 Klagen sind in den letzten sieben Jahren
beim Sozialgericht Berlin eingegangen. 107 Kammern beschäftigen sich
allein mit der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Klage von Mutter
und Tochter ist typisch für die Fälle, die hier verhandelt werden: Oft
geht es um die Kosten für die Unterkunft, die komplizierte Anrechnung
von Einkommen auf die Leistung der Jobcenter, es geht um Kürzungen,
Sanktionen und die Verletzung gesetzlicher Bearbeitungsfristen.
"Kein
Kläger bläst zum Sturm auf unser Sozialsystem", sagt
Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma. "Kaum einer prozessiert aus
Prinzip". Hartz IV ist ein Gesetzeswerk, das in den letzten sieben
Jahren 60 Mal ergänzt und verändert wurde. Nicht nur die sechs Millionen
Hartz-IV-Empfänger, auch die Mitarbeiter in den Jobcentern finden sich
in dem Paragrafendschungel nicht immer zurecht.
Monat für
Monat erreichen das Gericht Dutzende von Untätigkeitsklagen, weil das
Jobcenter wegen Personalmangels nicht mit der Arbeit hinterher kommt.
"Die Überforderung der Jobcenter führt zur Überlastung der Gerichte",
ärgert sich Schudoma. "Statt Gerichtsfragen zu lösen, wird das Gericht
zum Mahnbüro". Für die Juristen ist das Sozialgesetzbuch II ein
Beschäftigungsprogramm. Die Zahl der Sozialrichter hat sich seit 2005
mehr als verdoppelt, heute sind es 127. Im Sommer sollen weitere zehn
hinzukommen. Erstmals sank im vergangenen Jahr die Zahl der neu
eingereichten Fälle, die "Klageflut" ebbte bundesweit um zehn Prozent
ab. Eine "Trendumkehr", wie vom zuständigen BA-Vorstand Heinrich Alt
erhofft, können die Richter in Berlin nicht erkennen. Im ersten Halbjahr
stieg die Zahl der Fälle bereits wieder an.
Der Staat macht
es seinen Bürgen auch einfach. Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist
kostenlos. Jeder kann mit einem handschriftlichen Schreiben formlos eine
Klage einreichen. "Die Klage muss nur unterschrieben sein", sagt
Gerichtssprecher Marcus Howe. Die Kläger können sich aber auch einen
Anwalt nehmen. Sofern die Klage Aussicht auf Erfolg verspricht und der
Kläger bedürftig ist, gibt es Prozesskostenhilfe. Die Bedürftigkeit ist
bei Hartz-IV-Bezug in der Regel sowieso erfüllt. Und auch die
Erfolgsaussichten sind angesichts der oft umstrittenen Rechtslage meist
nicht von der Hand zu weisen. "Bei so einem neuen Gesetz gibt es noch
eine Menge offener Fragen, etwa, wenn Sozialgerichte und
Landessozialgerichte unterschiedlich geurteilt haben", sagt Howe. Bei so
einer unklaren Rechtslage könne man dem Kläger nicht absprechen, selbst
Recht vor Gericht zu suchen.
Zumal die Erfolgsquote
tatsächlich recht hoch ist. Mehr als die Hälfte aller Klagen - 54
Prozent - erweisen sich zumindest teilweise als berechtigt. In anderen
Verfahren liegt die Erfolgsquote nur bei einem Drittel. Die Statistik
sei allerdings mit Vorsicht zu genießen, warnt Gerichtssprecher Howe.
Bei weitem werde nicht jeder zweite Fall vor Gericht gewonnen. Denn auch
der, der nur teilweise Recht bekommt, taucht in der Statistik auf. Wer
etwa 400 Euro einklagt und am Ende 20 Euro bekommt, wird als Erfolg
geführt.
Das Gros der Kläger entscheidet sich für einen Anwalt. Der
Anteil der Fälle mit Anwalt ist in den letzten fünf Jahren von 50 auf 70
Prozent gestiegen.
Für den Anwalt lohnt sich das allerdings
nur als Massengeschäft. Denn mit Hartz-IV-Verfahren lässt sich nicht
viel verdienen. Selten gebe es mehr als 500 oder 600 Euro für einen
Fall, schätzt Howe. Vor dem Sozialgericht zählen nicht die Streitwerte,
sondern Umfang und Schwierigkeit sowie die finanziellen Verhältnisse des
Klägers.
Konnte der Fall schriftlich erledigt werden, gab es einen Termin oder zwei? Wurden Zeugen gehört? Howe:
"Im
Sozialrecht kann man als Anwalt nur dann Geld verdienen, wenn man
möglichst viele gleichgelagerte Fälle hat." Das Geschäft lohnt sich für
Anwälte, die sich nicht in jeden Fall einarbeiten müssen, sondern die
sich auf Hartz IV spezialisieren, die immer wieder ähnliche Fälle mit
vorformulierten Schreiben vor Gericht bringen, die über einen großen
Mandantenstamm verfügen, der für ein kontinuierliches Einkommen sorgt.
Jeder Bescheid, der in einer Familie ankommt, wird dann dem Anwalt zur
Prüfung vorgelegt, weiß Howe. "Ein findiger Anwalt findet immer etwas."
Es gibt Bedarfsgemeinschaften, die tauchen immer wieder auf, und immer
vertreten durch einen Anwalt.
http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article106348245/Ein-findiger-Anwalt-findet-immer-was.html
http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2012/05/ein-findiger-anwalt-findet-immer-was.html
Frau in einer modischen Jeansjacke versteht die Welt nicht mehr. Vor ein
paar Monaten ist sie umgezogen. "Die Wand war schimmelig", sagt Tatjana
F. Direkt an ihrem Bett. Echt krass war das, da zu leben, sagt sie. Da
hat sie gekündigt und ist in eine Wohnung gezogen, die ihre Mutter
angemietet hat.
Tatjana F. lebt von Hartz IV. Deshalb sitzt
sie an diesem Tag hier, vor der Richterin in Saal 158 im ersten Stock
des Sozialgerichts in Berlin-Mitte. Das Jobcenter will die neue Miete
von 375 Euro nicht übernehmen und zahlt die alte Miete von 320 Euro
weiter. Denn Tatjana F. ist ohne Zustimmung des Jobcenters umgezogen.
Dagegen klagt sie nun. Ihre Mutter hat sie gleich mitgebracht. Das
Jobcenter habe gesagt, sie könne sich eine neue Wohnung suchen, beteuert
das Mädchen. Schriftlich hat sie das aber nicht. Fotos vom
Schimmelbefall? Briefe an den Vermieter? Nein, so etwas hat die Klägerin
nicht. "Man hat doch als Mieter Rechte", sagt die Richtern. Warum haben
sie dem Vermieter keine Frist gesetzt und die Miete gemindert?". Die
junge Frau zuckt mit den Achseln: "Das habe ich mich nicht getraut."
Dieser
Morgen ist kein guter Morgen für Mutter und Tochter. Ihre Klage werde
wohl kaum erfolgreich sein, erklärt ihnen die Richterin nach einer
Besprechung mit den Schöffen. Es wäre ihre Pflicht gewesen, die
Notwendigkeit des Umzuges nachzuweisen. "Das haben Sie nicht getan",
stellt die Richterin fest. Deshalb bleibt der Mietzuschuss weiter auf
320 Euro beschränkt. Die junge Frau fängt an zu weinen. "Wie soll sie
denn jetzt die Miete bezahlen", fragt ihre Mutter empört. Doch darauf
weiß die Richterin eine Antwort: "Da gibt es drei Möglichkeiten:
Entweder Sie verdienen sich etwas dazu, Sie sparen die 55 Euro an
anderer Stelle ein - oder Sie suchen sich eine billigere Wohnung, aber
diesmal mit Zustimmung des Jobcenters." Die junge Frau weint nun nicht
mehr. Wütend stapft sie mit ihrer Mutter aus dem Sitzungssaal.
Arbeit für 107 Kammern
Berlin
ist die Hauptstadt von Hartz IV und das Sozialgericht an der
Invalidenstraße das größte in Deutschland. In dem prächtigen Bau, im
Kaiserreich als Direktionsgebäude der Berlin-Hamburger
Eisenbahngesellschaft neben dem Hamburger Bahnhof errichtet, werden seit
30 Jahren die Alltagsprobleme der kleinen Leute verhandelt. Seit
Einführung von Hartz IV herrscht in dem Neorenaissance-Palast
Hochbetrieb. Mehr als 150.000 Klagen sind in den letzten sieben Jahren
beim Sozialgericht Berlin eingegangen. 107 Kammern beschäftigen sich
allein mit der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Klage von Mutter
und Tochter ist typisch für die Fälle, die hier verhandelt werden: Oft
geht es um die Kosten für die Unterkunft, die komplizierte Anrechnung
von Einkommen auf die Leistung der Jobcenter, es geht um Kürzungen,
Sanktionen und die Verletzung gesetzlicher Bearbeitungsfristen.
"Kein
Kläger bläst zum Sturm auf unser Sozialsystem", sagt
Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma. "Kaum einer prozessiert aus
Prinzip". Hartz IV ist ein Gesetzeswerk, das in den letzten sieben
Jahren 60 Mal ergänzt und verändert wurde. Nicht nur die sechs Millionen
Hartz-IV-Empfänger, auch die Mitarbeiter in den Jobcentern finden sich
in dem Paragrafendschungel nicht immer zurecht.
Monat für
Monat erreichen das Gericht Dutzende von Untätigkeitsklagen, weil das
Jobcenter wegen Personalmangels nicht mit der Arbeit hinterher kommt.
"Die Überforderung der Jobcenter führt zur Überlastung der Gerichte",
ärgert sich Schudoma. "Statt Gerichtsfragen zu lösen, wird das Gericht
zum Mahnbüro". Für die Juristen ist das Sozialgesetzbuch II ein
Beschäftigungsprogramm. Die Zahl der Sozialrichter hat sich seit 2005
mehr als verdoppelt, heute sind es 127. Im Sommer sollen weitere zehn
hinzukommen. Erstmals sank im vergangenen Jahr die Zahl der neu
eingereichten Fälle, die "Klageflut" ebbte bundesweit um zehn Prozent
ab. Eine "Trendumkehr", wie vom zuständigen BA-Vorstand Heinrich Alt
erhofft, können die Richter in Berlin nicht erkennen. Im ersten Halbjahr
stieg die Zahl der Fälle bereits wieder an.
Der Staat macht
es seinen Bürgen auch einfach. Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist
kostenlos. Jeder kann mit einem handschriftlichen Schreiben formlos eine
Klage einreichen. "Die Klage muss nur unterschrieben sein", sagt
Gerichtssprecher Marcus Howe. Die Kläger können sich aber auch einen
Anwalt nehmen. Sofern die Klage Aussicht auf Erfolg verspricht und der
Kläger bedürftig ist, gibt es Prozesskostenhilfe. Die Bedürftigkeit ist
bei Hartz-IV-Bezug in der Regel sowieso erfüllt. Und auch die
Erfolgsaussichten sind angesichts der oft umstrittenen Rechtslage meist
nicht von der Hand zu weisen. "Bei so einem neuen Gesetz gibt es noch
eine Menge offener Fragen, etwa, wenn Sozialgerichte und
Landessozialgerichte unterschiedlich geurteilt haben", sagt Howe. Bei so
einer unklaren Rechtslage könne man dem Kläger nicht absprechen, selbst
Recht vor Gericht zu suchen.
Zumal die Erfolgsquote
tatsächlich recht hoch ist. Mehr als die Hälfte aller Klagen - 54
Prozent - erweisen sich zumindest teilweise als berechtigt. In anderen
Verfahren liegt die Erfolgsquote nur bei einem Drittel. Die Statistik
sei allerdings mit Vorsicht zu genießen, warnt Gerichtssprecher Howe.
Bei weitem werde nicht jeder zweite Fall vor Gericht gewonnen. Denn auch
der, der nur teilweise Recht bekommt, taucht in der Statistik auf. Wer
etwa 400 Euro einklagt und am Ende 20 Euro bekommt, wird als Erfolg
geführt.
Das Gros der Kläger entscheidet sich für einen Anwalt. Der
Anteil der Fälle mit Anwalt ist in den letzten fünf Jahren von 50 auf 70
Prozent gestiegen.
Für den Anwalt lohnt sich das allerdings
nur als Massengeschäft. Denn mit Hartz-IV-Verfahren lässt sich nicht
viel verdienen. Selten gebe es mehr als 500 oder 600 Euro für einen
Fall, schätzt Howe. Vor dem Sozialgericht zählen nicht die Streitwerte,
sondern Umfang und Schwierigkeit sowie die finanziellen Verhältnisse des
Klägers.
Konnte der Fall schriftlich erledigt werden, gab es einen Termin oder zwei? Wurden Zeugen gehört? Howe:
"Im
Sozialrecht kann man als Anwalt nur dann Geld verdienen, wenn man
möglichst viele gleichgelagerte Fälle hat." Das Geschäft lohnt sich für
Anwälte, die sich nicht in jeden Fall einarbeiten müssen, sondern die
sich auf Hartz IV spezialisieren, die immer wieder ähnliche Fälle mit
vorformulierten Schreiben vor Gericht bringen, die über einen großen
Mandantenstamm verfügen, der für ein kontinuierliches Einkommen sorgt.
Jeder Bescheid, der in einer Familie ankommt, wird dann dem Anwalt zur
Prüfung vorgelegt, weiß Howe. "Ein findiger Anwalt findet immer etwas."
Es gibt Bedarfsgemeinschaften, die tauchen immer wieder auf, und immer
vertreten durch einen Anwalt.
http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article106348245/Ein-findiger-Anwalt-findet-immer-was.html
http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2012/05/ein-findiger-anwalt-findet-immer-was.html
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