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: Entziehung/Versagungsbescheid

Seit der Neufassung des § 39 SGB II zum 01.04.2011 ist eine Entziehung der bewilligten Leistung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht mehr sofort vollziehbar gemäß § 39 Nr. 1 SGB II Bayerisches Landessozialgericht,Beschluss 04.2012, - L 7 AS 222/12/B ER


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Hartz IV und die Zukunft des Sozialstaates Christoph Butterwegge über Gegenwart und Zukunft des deutschen Sozialsystems Hartz IV und die Zukunft des Sozialstaates Reinhard Jellen 26.05.2012 Christoph Butterwegge über Gegenwart und Zukunft des deutschen

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Hartz IV und die Zukunft des Sozialstaates Christoph Butterwegge über Gegenwart und Zukunft des deutschen Sozialsystems Hartz IV und die Zukunft des Sozialstaates Reinhard Jellen 26.05.2012 Christoph Butterwegge über Gegenwart und Zukunft des deutschen  Empty Hartz IV und die Zukunft des Sozialstaates Christoph Butterwegge über Gegenwart und Zukunft des deutschen Sozialsystems Hartz IV und die Zukunft des Sozialstaates Reinhard Jellen 26.05.2012 Christoph Butterwegge über Gegenwart und Zukunft des deutschen

Beitrag von Willi Schartema Do Jul 05, 2012 1:21 am

Sozialsystems

Mit Hartz IV hat die deutsche Politik eine Reform
geschaffen, anhand der man auf die sozialen Verwerfungen des
kapitalistischen Marktes mit seiner Ausweitung und der Verschärfung
seiner Prinzipien reagiert. Im Zuge der Finanzkrise wird nun der Versuch
unternommen, diese Sozialpolitik mit der Abrissbirne innerhalb der EU
zum Export-Schlager zu entwickeln. Dabei halten sich die Erfolge der
Reform für die hiesigen Arbeitnehmer durchaus in Grenzen. Ein Gespräch
mit dem Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge

http://www.christophbutterwegge.de/index.php
der dieses Jahr mit Krise und Zukunft des Sozialstaates
http://www.springer-vs.de/Buch/978-3-531-15851-8/Krise-und-Zukunft-des-Sozialstaates.html
und Armut in einem reichen Land
http://www.campus.de/wissenschaft/politikwissenschaft/Sozialpolitik.40412.html/Armut+in+einem+reichen+Land.99465.html
Bücher zum Thema veröffentlicht hat.



Herr Butterwegge,
auf welche ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme hat die Politik
mit den Hartz-IV-Reformen reagiert und ist die aktuelle Sozialpolitik
dazu angetan, diese Schwierigkeiten zu meistern?

Christoph
Butterwegge: Vordergründig hat die damalige Regierungskoalition unter
dem Bundeskanzler Gerhard Schröder auf die mehr als zwei Jahrzehnte
andauernde Massenarbeitslosigkeit reagiert, die ja trotz seines
Versprechens sogar noch angestiegen war. Aufhänger für die Einsetzung
der sogenannten Hartz-Kommission war ein Vermittlungsskandal der
Bundesanstalt für Arbeit, die ihre Erfolgsbilanz geschönt hatte. Dabei
waren und sind die statistischen Taschenspielertricks, mit denen die
Arbeitslosenzahl nach unten manipuliert wird, viel gravierender auch
wenn sie nicht illegal sind.

Für die ganz der neoliberalen
Standortlogik verhaftete Koalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
ging es vor allem darum, die Konkurrenzfähigkeit des
Wirtschaftsstandorts Deutschland zu stärken. Dies ist auch gelungen,
sind doch die Reallöhne zwischen 2000 und 2010 in Deutschland gesunken.
Das gesellschaftliche Kernproblem, dass viele Millionen Menschen keine
ihrer Ausbildung entsprechende und angemessen bezahlte Arbeit finden,
wurde damit aber keineswegs gelöst.


In der Öffentlichkeit
wird Hartz IV als harte, aber erfolgreiche Reform verkauf,
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-fleischhauer-der-hartz-iv-irrtum-a-831125.html
weil diese die Zahl der Arbeitslosen dauerhaft unter 3 Millionen zu
drücken. Was sagen Sie dazu?



Der Hartz-IV-Irrtum

Eine Kolumne von Jan Fleischhauer

Nirgendwo
wird so beständig Mitgefühl mit Sentimentalität verwechselt wie in der
Sozialpolitik. Bislang ging das gut. Weil Deutschland ein reiches Land
ist.
Info

Wie muss man sich den typischen Hartz-IV-Empfänger
vorstellen? Vielleicht so: studierte Medizinerin mit 20 Jahren
Berufserfahrung, jetzt arbeitslos, weil sie der Mann mit sechs Kindern
im Stich ließ. Jeden Tag steht die Frau bei der Münchner Tafel, damit
die Kinder etwas frisches Obst bekommen; dafür bringt der achtjährige
Sohn in Mathematik eine "eins mit Sternchen" nach Hause.

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Ich
habe mir das nicht ausgedacht. So steht es bei Kathrin Hartmann in
ihrem Buch "Wir müssen leider draußen bleiben", dem aktuellsten Führer
durch die "neue Armut".

Wenn es um das Leben am Rande der
Gesellschaft geht, scheint es ein nahezu unstillbares Bedürfnis nach
Verklärung der Verhältnisse zu geben. In den Halbjahresprogrammen der
großen Publikumsverlage hat sich inzwischen ein eigenes Genre des
Sozialkitsches etabliert, der die Leser in die Welt zwischen
Sozialstation und Armenspeisung führt. Die Autoren entstammen zumeist
der postmateriell orientierten Mittelschicht und damit einem Milieu,
dessen Lebenszuschnitt nicht nur räumlich von dem ihrer
Beobachtungsobjekte himmelweit entfernt ist. Ich frage mich
gelegentlich, was diese Frauen (und es sind meist Frauen) dazu treibt,
zwischen dem Geplänkel über die richtige Kita für Jonas und Marie die
Armenviertel in Berlin oder Frankfurt in Augenschein zu nehmen.
Vielleicht ist es Langeweile.

Vielleicht auch einfach das schlechte Gewissen, dass es ihnen so viel besser geht.

Literarischer Ablasshandel

Hartz-IV-Bezieher
tauchen in diesem literarischen Ablasshandel ausnahmslos als Opfer der
Verhältnisse auf, die ein böser Streich des Schicksals aus der Bahn
geworfen hat und nun alles daran setzen, zurück ins Leben zu finden.
Dass man auf die Armen nicht länger herabsieht, sondern ihnen mit
Verständnis und Anteilnahme begegnet, darf man zu Recht als
zivilisatorischen Fortschritt begreifen. Die Frage ist nur, ob man
deshalb bei aller Rührung über die eigene Toleranz die Realität aus dem
Blick verlieren muss. Es ist immer ein Fehler, Mitgefühl mit
Sentimentalität zu verwechseln, leider wird beides nirgendwo so
beständig durcheinander geworfen wie in der Sozialpolitik.

Seit
Jahren liegt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, die nicht
arbeiten und von staatlicher Unterstützung und damit der Schaffenskraft
anderer abhängen, bei weit über drei Millionen, und zwar weitgehend
unabhängig davon, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Gerade haben die
zuständigen Behörden wieder gemeldet, dass die Zahl der Arbeitslosen
weiter gesunken ist, auf jetzt 2,97 Millionen, so wenig wie seit langem
nicht mehr. Doch an den Leuten, die besonders dringend auf einen neuen
Job angewiesen wären, weil sie schon lange jeder geregelten Arbeit
entwöhnt sind, schwingt auch dieser Aufschwung vorbei.

Tatsächlich
hat sich die Hartz-IV-Welt vom normalen Arbeitsmarkt weitgehend
entkoppelt. In der Berichterstattung findet das kaum Beachtung, dabei
ist diese Entwicklung zur Parallelgesellschaft für die Zukunft des
Landes mindestens so bedeutend wie das Nebeneinander von Deutschen und
Muslimen. Eine nahliegende Erklärung für die erstaunliche Stabilität des
Transfermilieus wäre, dass viele, die sich mit der Stütze des Staates
eingerichtet haben, dem Arbeitsmarkt nur pro forma zur Verfügung stehen.
Entweder, weil es sich für sie nicht lohnt, einer ordentlichen Arbeit
nachzugehen - oder weil sie dem Arbeitsleben schon so lange fern sind,
dass sie Mühe haben, morgens beizeiten aufzustehen. Die zerstörerische
Wirkung dauerhaften Nichtstuns ist von der Sozialforschung hinreichend
beschrieben, daran liegt es nicht. Man sollte darauf nur nicht im Detail
zu sprechen kommen.

Als ich neulich in einer Diskussion die
Empfehlung gab, sich doch einmal mit Schulzahnärzten zu unterhalten,
welche Vernachlässigung sich schon am Gebiss von Zweitklässlern ablesen
lässt, weil die Eltern versäumt haben, den Kindern den Gebrauch der
Zahnbürste zu erklären, trug mir das erst die Missbilligung des
Publikums und dann den Tadel der "Süddeutschen" ein. "Stammtisch der
Mittelschicht", war der anschließende Artikel überschrieben. Ich habe
zwar nie verstanden, was gegen den Stammtisch spricht, zumal in Bayern.
Ich halte das für einen Ort geselligen Beisammenseins, aber dennoch war
damit irgendwie klar, dass ich mich mit meinem Hinweis daneben benommen
hatte.

Mechanismen des deutschen Sozialstaats

Deutschland
ist ein reiches Land, deshalb konnte es sich bislang die Pazifizierung
seiner Unterschicht durch Geldtransfers leisten. Rund 50 Milliarden
geben Bund und Kommunen im Jahr für Hartz-IV aus, wobei nur die Hälfte
an die Empfänger als Geldleistung fließt. Die andere Hälfte geht in die
diversen Umschulungs- und Bildungsmaßnahmen, denen sich jeder
Hartz-IV-Empfänger von Zeit zu Zeit unterziehen muss, um seine Ansprüche
zu wahren. Wer die Mechanismen des deutschen Sozialstaats kennt, sieht
sofort, dass hier viele Interessen im Spiel sind.

Zum Glück gibt
es immer noch genug Menschen, die lieber arbeiten gehen, als Zuhause
ihre Tage zu vertrödeln, auch wenn sie davon finanziell nicht wirklich
etwas haben. Wer heute als Vorstand einer vierköpfigen Familie an der
Ladenkasse steht oder Umzugskisten schleppt, könnte morgen den Job
quittieren, ohne dass er schlechter da stände. Auf 1800 Euro belaufen
sich derzeit die Zuwendungen für einen Hartz-IV-Haushalt mit zwei
Kindern - sind mehr als zwei Kinder im Haus, sind es noch einmal
deutlich mehr.

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Die Realitäten des vereinten Europas
könnten allerdings dazu führen, dass diese Form der Sozialpolitik schon
bald an ihre Grenzen stößt. Was hierzulande als Leben unterhalb der
Armutsgrenze gilt, ist in anderen Teilen ein Stück vom Paradies. Im
SPIEGEL stand neulich ein ausgezeichneter Report über die Zuwanderung
aus den Armenhäusern in Rumänien und Bulgarien, die erst seit ein paar
Jahren ebenfalls EU-Mitglieder sind. Die wenigsten machen sich eine
Vorstellung, welche Dynamik hier in Gang gesetzt wurde.

Wer
darauf hofft, dass man den neuen Mitbürgern die Leistungen streichen
könnte, hat die Rechnung ohne den Europäischen Gerichtshof gemacht.
http://www.spiegel.de/thema/europaeischer_gerichtshof/ Dieser
Diskriminierung haben die Richter vorsorglich den Riegel vorgeschoben:
Der Sozialsatz in Deutschland ist für alle gleich, egal ob sie aus
Neukölln kommen oder einem Armendorf in der Nähe von Bukarest.


Armut ist unteilbar, das gilt auch für Hartz IV.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-fleischhauer-der-hartz-iv-irrtum-a-831125.html



Christoph
Butterwegge: Wichtiger dafür waren neben der genannten Schönung von
offiziellen Statistiken die abziehende Weltkonjunktur und die Stärke der
deutschen Exportindustrie, worunter jedoch besonders die
südeuropäischen EU-Staaten zu leiden hatten, die ihre steigenden Importe
über Kredite finanzieren mussten und heute Schwierigkeiten haben, ihre
Schulden zu tilgen.

Welches Ziel verfolgen Politik und Wirtschaft nun eigentlich mit Hartz IV?

Christoph
Butterwegge: Die Verwaltung der Arbeitslosigkeit und die Arbeit sollten
billiger werden. Durch den von Hartz IV ausgehenden Druck auf
Langzeitarbeitslose und Geringverdiener, die damit bei vielen
Belegschaften erzeugte Angst vor dem sozialen Absturz, die Förderung der
Leiharbeit und die Subventionierung der Unternehmen durch "Kombi-Löhne"
der sogenannten Aufstocker wurde massives Lohndumping betrieben.

Gibt
es statistische Erhebungen, wie viele Menschen wegen Hartz IV gestorben
sind, weil sie sich zum Beispiel nach der Sanktionierung
http://www.heise.de/tp/artikel/31/31162/1.html
durch die Job-Center die Heizkosten oder lebensnotwendige Medikamente
nicht mehr leisten konnten oder wegen der aussichtslosen Lage Suizid
verübt haben?


Aushungern und Fordern
Reinhard Jellen 22.09.2009
Interview mit Claudia Daseking und Solveig Koitz über die rechtswidrige Hartz IV-Sanktionspraxis. Teil 1

Seit
2005 hat sich in Deutschland die Armut, die Kinderarmut und die Anzahl
der Tafeln verdoppelt. Der Niedriglohnsektor hat sich innerhalb der
letzten zwanzig Jahre gleichfalls dupliziert. Während Einkommen aus
Gewinnen und Vermögen um 36 Prozent zugenommen haben, bleibt die
Lohnquote mit 66,2 Prozent auf einem historischen Tiefstand: Neun
Prozentpunkte unter dem Spitzenniveau von 1974.


Ökonomische Entmachtung und gravierende Entrechtung

Maßgeblicher
Türöffner für diese Entwicklung sind die unter dem Begriff Hartz IV
subsummierten Reformen des Arbeitsmarkts aus dem Jahr 2005. Mit der
Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Einführung einer
Grundsicherung unterhalb des ehemaligen Sozialhilfeniveaus, indem
staatliche Einmalleistungen der Sozialämter durch unzureichende
Pauschalen (PDF) ersetzt wurden und der (teilweisen) Verringerung des
Schonvermögens wurde bei Langzeitarbeitslosen eine verheerende
Armutsspirale in Gang gesetzt. Doch damit hören die Zumutungen für
Bezieher des Arbeitslosengelds II nicht auf, denn mit der ökonomischen
Entmachtung geht eine gravierende Entrechtung einher. De facto nähert
man sich durch die exponentielle Ausweitung der Zumutbarkeitskriterien
für Arbeit hart der Grenze zur Zwangsarbeit. Die Alg-II-Bezieher bewegen
sich nicht mehr als Rechtssubjekte, als Staatsbürger in der
Gesellschaft, sondern werden zu reinen Pflichterfüllern degradiert. Sie
sind auf den Status von Metöken und Heloten herabgesunken und werden -
von Politikern wie Wolfgang Clement als "Parasiten" beschimpft - für die
öffentliche Hetzjagd freigegeben.

Großzahl der Sanktionen widerrechtlich

Zusätzlich
zu dieser allgemeinen Machtlosigkeit und Erniedrigung sind
Langzeitarbeitslose noch der Willkür der Behörden ausgesetzt. Denn die
JobCenter und ARGEN haben das Recht, die Zahlungen an Hartz-IV-Empfänger
bis zum Wegfall der Leistung einzuschränken, falls diese ihren
Anweisungen nicht Folge leisten. Letzteres ist für die Arbeitslosen
durchaus schwieriger, als sich das anhört: Schließlich sind die
Alg-II-Regelungen in etwa so kompliziert, wie das deutsche Steuerrecht,
allerdings mit dem feinen Unterschied, dass Wohlbetuchte mit Hilfe
juristischer Spezialisten Ausnahmeregelungen und Steuerschlupflöcher für
sich ausfindig und zu ihrem Vorteil nutzen können, während man den Alg
II-Bezieher in einem Dschungel voller Fußangel-Paragrafen und unklarer
Regelungen, die sich mitunter gegenseitig widersprechen, alleine stehen
lässt. Sanktionen sind nicht nur, aber auch ein Mittel, um den
Sparvorgaben der Bundesagentur für Arbeit nachzukommen.
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Eine
Großzahl davon ist rechtswidrig, wie die Anzahl der gewonnen Prozesse
gegen die Maßnahmen beweist. Diese Anordnungen sind keine
Bagatellmaßregeln, sondern gehen an die Existenz: In der Broschüre "Wer
nicht spurt, kriegt kein Geld - Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende -
Erfahrungen, Analysen, Schlussfolgerungen" (PDF), welche von der
Berliner Kampagne gegen Hartz IV herausgegeben wurde, ist zum Beispiel
von einem Fall zu lesen, in dem ein Diabetiker sich aufgrund der
Sanktionen kein Insulin und auch kein Essen mehr leisten konnte. Auch
sind die Umstände der darin beschriebenen Sanktionen oftmals grotesk:
Ein Epileptiker sollte auf einem Baugerüst arbeiten, eine Hartz
IV-Bezieherin wurde vom Job-Center dazu angehalten, die "Nebentätigkeit"
Prostitution gegen ihren Willen fortzusetzen.

Über die
drakonischen Strafen, die das Gesetz vorschreibt, und die zum Teil
lebensgefährliche Sanktionierungspraxis von JobCentern und ARGEN sprach
Telepolis mit Claudia Daseking und Solveig Koitz, welche die Broschüre
mitverfasst haben und Mitinitiatorinnen des "Bündnis für ein
Sanktionsmoratorium" (PDF) sind, einer erstaunlich breiten Plattform
namhafter Vertreter aus Politik, Erwerbsloseninitiativen, Wissenschaft
und Kirche. Solveig Koitz arbeitet seit Jahren als Sozialberaterin für
Hartz-IV-Beziehende.

"Sanktionen kürzen die Leistungen bis unter das Existenzminimum"

Die
Sanktionsfälle gegen Hartz-IV-Bezieher in Ihrer Broschüre lesen sich
geradezu kafkaesk. Haben Sie besonders krasse Beispiele ausgesucht?

Claudia
Daseking: Nein, die Fälle sind ein Querschnitt des alltäglichen
Hartz-IV-Wahnsinns, auch wenn die meisten Fälle nicht derart grotesk
sind wie die von ihnen genannten Beispiele. Wenn Sie sich im Internet
die Unterzeichnerliste unseres Aufrufs für ein Sanktionsmoratorium ,
also ein Aussetzen der Hartz-IV-Sanktionen, angucken, können Sie sehen,
wie viele Leute aus sozialen Berufen den Aufruf unterschrieben haben,
wie viele Leute aus caritativen Einrichtungen, Sozialberatungen,
Schuldnerberatungen, Leute, die täglichen Umgang mit dem Leid haben.
Dann sehen Sie, dass wir ganz dicht dran sind an der Wirklichkeit.

2008 gab es 780.000 Sanktionen

Was ist denn so schlimm an den Sanktionen?

Solveig
Koitz: Sanktionen kürzen die Leistungen bis unter das Existenzminimum.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Sanktionen betreffen nicht Fälle von
Leistungsmissbrauch, sondern es geht um Menschen, die auf die niedrigen
Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind und denen man irgendein
Fehlverhalten vorwirft. Bei vielen Langzeitarbeitslosen, die über
keinerlei Ressourcen verfügen und zum Beispiel kein Schonvermögen haben,
führen diese Geldkürzungen sofort in blanke Not, in staatlich
verordnete Not - wie man sie sich für Deutschland, einem Land mit
Sozialstaat nicht vorstellen kann, wenn man es nicht mit eigenen Augen
gesehen hat.

Im vergangenen Jahr wurden mehr als 780.000
Sanktionen verhängt. Es mag wenig klingen, dass "nur" etwa drei Prozent
der Alg-II-Beziehenden sanktioniert werden - wie es immer wieder
verharmlosend und beschwichtigend angeführt wird, so auch vom
Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt. Man muss
sich aber vergegenwärtigen, wie viele Menschen dies massiv trifft. So
mussten im Jahr 2008 knapp 100.000 junge Erwachsene - die Altersgruppe
der unter 25jährigen wird besonders hart sanktioniert - einen Teil des
Jahres völlig ohne Geldmittel auskommen, in der Regel drei Monate lang,
und haben von den JobCentern, wenn überhaupt, nur Lebensmittelgutscheine
erhalten.

Ein zweiter Punkt ist die Hilflosigkeit, wenn man dem
Sanktionsapparat ausgeliefert ist. Das ist entwürdigend. Die vielen
erfolgreichen Klagen und Widersprüche dürfen nicht darüber
hinwegtäuschen, dass weniger als zehn Prozent der Bestraften von diesen
Rechtsmitteln Gebrauch machen. Über die meisten Menschen brechen die
Sanktionen wie eine Katastrophe herein, und die Kraft geht dafür drauf,
die Grundversorgung und drum herum den Alltag neu zu organisieren und
die Sanktion psychisch zu verkraften. Für den Rechtsweg braucht man
Energie und Zeit, außerdem Wissen oder zumindest Kontakte.

Druck auf die regulär Beschäftigten

Claudia
Daseking: Und drittens wirken die Sanktionen nicht nur auf die
Sanktionierten. Alle, die in die Nähe des Hartz-IV-Regimes kommen,
stehen unter dem Druck, ganz schnell irgendeine Arbeit anzunehmen, egal
um welchen Preis. So werden Menschen für den Niedriglohnsektor
"zugerichtet". Und diese Bedrohung spüren auch die noch Erwerbstätigen
und sind zu vielerlei Zugeständnissen bereit. Statt "Arbeit muss sich
wieder lohnen" ist das Motto von Hartz IV eigentlich: "Arbeitslosigkeit
muss weh tun". Als Gerhard Schröder den Wirtschaftsgrößen in Davos 2005
verkündete, Deutschland habe einen der besten Niedriglohnsektoren
aufgebaut, den es in Europa gibt, hat er dies als Erfolg des Umbaus des
Sozialstaates, als unmittelbaren Erfolg von Hartz IV proklamiert.

"Fast jede Arbeit zumutbar"

Können Sie uns kurz schildern, in welchen Fällen Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende verhängt werden?

Solveig
Koitz: Die landläufige Meinung ist ja, sanktioniert würden die
"Drückeberger", also die, die sich weigern würden, Arbeit anzunehmen. Es
ist tatsächlich einer der Gründe für Sanktionen, wenn sogenannte
"zumutbare" Arbeit abgelehnt, vereitelt oder abgebrochen wird. Ein Blick
in die Sanktionsstatistik zeigt aber, dass dies ein eher seltener
Sanktionsgrund ist, der nur etwa zehn Prozent der Fälle ausmacht. Dazu
muss man auch wissen, dass schon ein Verhalten im Bewerbungsverfahren,
das einem Arbeitgeber aus irgend einem Grund nicht gefällt, zu einer
Sanktion führen kann. Hinzu kommt, dass fast jede Arbeit als zumutbar
gilt, egal woher man beruflich kommt und wo man hin will, und fast egal,
wie niedrig der Lohn ist, nur Lohnwucher darf es nicht sein. Aber nicht
einmal daran halten sich die JobCenter und es werden Sanktionen
verhängt, wenn sich Erwerbslose weigern, für Wucherlohn zu arbeiten.
Wenn solche Sanktionen vor Gericht landen, werden sie aufgehoben, zum
Beispiel in einem Fall, wo eine Frau Arbeit bei einem Textildiscounter
für 4,50 € Stundenlohn nicht antreten wollte.

Arbeitsverweigerung ist also ein seltener Sanktionsgrund. Wofür werden die meisten Sanktionen verhängt?

Solveig
Koitz: Über die Hälfte der Sanktionen betrifft Meldeversäumnisse, also
wenn jemand zu einem Termin beim JobCenter nicht erscheint oder zu spät
kommt. Der zweithäufigste Sanktionsgrund sind Verstöße gegen die
sogenannte Eingliederungsvereinbarung, das waren 2008 etwa 17 Prozent
der Sanktionen, zum Beispiel wenn zu wenig Bewerbungen vorgelegt wurden.
Nur ein, zwei Bewerbungen weniger als in der Eingliederungsvereinbarung
festgelegt, also zum Beispiel achtzehn Bewerbungen im Monat statt 20,
und eine Sanktion wird fällig.

"Zwangsvertrag"

Eine
Zwischenfrage: Eine Eingliederungsvereinbarung, was ist das? Und zwanzig
Bewerbungen im Monat, ist das realistisch? Bewerbungen müssen doch
zielgerichtet sein, wenn man damit Erfolg haben will ...

Solveig
Koitz: Da sprechen Sie mehrere wunde Punkte an. Bewerbungen sind nicht
billig und die Kosten dafür nicht im Regelsatz enthalten. Die JobCenter
übernehmen aber Bewerbungskosten nur in bescheidener Höhe. Und wie viele
Alg-II-Beziehende wagen es angesichts angedrohter Sanktionen, auf der
Kostenübernahme der angeordneten Bewerbungen zu bestehen und im
Ablehnungsfall weniger Bewerbungen zu schreiben? Die JobCenter dürfen
eigentlich keine Bewerbungen verlangen, deren Kosten sie nicht
erstatten. In der Praxis geschieht das aber.

Was die
Eingliederungsvereinbarungen betrifft: Diese müssen die JobCenter mit
allen Alg-II-Beziehenden abschließen. Darin sollen, vereinfacht gesagt,
für beide Seiten ihre im Gesetz allgemein angelegten Pflichten
konkretisiert werden. Dabei ist schon das Wort "Vereinbarung"
irreführend, "Zwangsvertrag" wäre hierfür eine passendere Bezeichnung,
denn die Unterzeichnung steht der einen Seite nicht frei, die
Unterschriftsverweigerung ist laut Gesetz ihrerseits ein Sanktionsgrund.
Dabei wissen alle, die nur ein Fünkchen von Sozialarbeit verstehen,
dass in diesem Bereich die unbedingte Freiwilligkeit der Kooperation
eine essentielle Voraussetzung dafür ist, dass die Zusammenarbeit
zwischen Betreuenden und Klienten gelingt, und dass die vereinbarten
Ziele bestmöglich erreicht werden. Was diese
Eingliederungs"vereinbarung" laut Gesetz enthalten und wie sie zustande
kommen soll, und wie das demgegenüber in den JobCentern gehandhabt wird,
das sind weitere Probleme.

"Überfordernde Pflichten"

Claudia
Daseking: Ja, zum Beispiel ist es der Normalfall, dass einem der
fertige Entwurf zur sofortigen Unterschrift vorgelegt wird, ohne
vorherige Besprechung, was darin aufgenommen werden sollte. Unter
Umständen steht da viel Unverständliches drin, zum Beispiel lange
Gesetzeszitate. Bei einem der in unserer Broschüre Porträtierten war es
so, dass er überhaupt nicht verstanden hat, was er da unterschrieben hat
- erklärt hat es ihm im JobCenter niemand, obwohl er krankheitsbedingte
Auffassungsschwierigkeiten hat, von denen das JobCenter wusste.

Zum
Widersinn von Eingliederungsvereinbarungen, die überfordernde Pflichten
enthalten und so zwangsläufig zu Sanktionen führen, nannte die
Mitarbeiterin einer Sozialberatungsstelle, die wir im Rahmen unserer
Erhebung befragt hatten, ein Beispiel aus ihrem Erfahrungsbereich: "Wenn
einem 20jährigen Obdachlosen, dessen Leben chaotisch und instabil ist
und der psychisch nicht belastbar ist, zehn Bewerbungen im Monat
abverlangt werden, muss man sich nicht wundern, dass der scheitert."

Verstoß gegen Dienstanweisung

Das
Bündnis für ein Sanktionsmoratorium, in dem Sie mitwirken, hat soeben
einen offenen Brief (PDF) an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit
geschrieben, weil durch die JobCenter entgegen einer BA-Anweisung
weiterhin Sanktionen verhängt werden, wenn Alg-II-Beziehende ihre
Unterschrift unter eine Eingliederungsvereinbarung verweigern. Sie
fordern Aufklärung darüber, wie es dazu kommen konnte und sofortige
Abhilfe. Können Sie mehr zum Hintergrund sagen?

Solveig Koitz: :
Seit Dezember 2008 gibt es die Dienstanweisung der Bundesagentur für
Arbeit , dass die Unterschriftsverweigerung unter die
Eingliederungsvereinbarung, die laut Gesetz ein Sanktionsgrund ist,
nicht mehr sanktioniert werden soll. Denn die Bundesregierung hat nach
entsprechenden Gerichtsurteilen in der Begründung zu einer geplanten
Gesetzesänderung eingeräumt, dass bei der jetzigen Gesetzesregelung
gegen die Verhältnismäßigkeit verstoßen wird, die ein
Verfassungsgrundsatz ist. Im Vorgriff auf diese geplante
Gesetzesänderung, die übrigens immer noch nicht erfolgt ist, hat dann
die BA diese Dienstanweisung herausgegeben.

Trotzdem werden in
den JobCentern in nahezu unveränderter Höhe Sanktionen verhängt, wenn
jemand die Unterschrift unter eine Eingliederungsvereinbarung verweigert
hat, wie in den aktuellen Sanktionsstatistiken der BA zu sehen ist.
Auch dieses Beispiel zeigt, wie notwendig ein Sanktionsmoratorium ist,
um dem Handeln der JobCenter Einhalt zu gebieten.

Gibt es denn noch weitere Sanktionsgründe?

Solveig
Koitz: Der dritthäufigste Sanktionsgrund - im Jahr 2008 waren es 11
Prozent der Fälle - ist die Weigerung, Eingliederungsmaßnahmen wie
Ein-Euro-"Jobs", Bewerbungstrainings und unbezahlte Praktika anzutreten
oder fortzuführen. Im Gesetz sind weitere Sanktionsgründe festgelegt -
die Pflichten von Hartz-IV-Beziehenden erschöpfen sich ja nicht im
bisher Genannten. In der Sanktionspraxis kommen diese Fälle, wie zum
Beispiel die Fortsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens, nur selten vor. -
Die Sanktionsstatistik der Bundesagentur für Arbeit sagt aber nichts
darüber aus, ob die Sanktionierten tatsächlich die genannten
Pflichtverletzungen begangen haben oder ob ihnen ein Fehlverhalten nur
unterstellt wurde. Auf den hohen Anteil rechtswidriger Sanktionen wollen
wir noch zu sprechen kommen.

"Bescheinigung für Bettlägerigkeit gefordert"

Sie
sagten, die meisten Sanktionen werden wegen Meldeversäumnissen
verhängt. Aber kann man nicht erwarten, dass jemand, der staatliche
Leistungen bekommt, zu den Terminen bei der Behörde erscheint, und zwar
pünktlich?

Solveig Koitz: Dass man irgendwo zu spät kommt, sollte
natürlich nicht vorkommen, ist aber den meisten von uns schon mal
passiert. Wenn man krank ist und deshalb nicht zu einem Termin ins
JobCenter gehen kann, hat man zwar die Möglichkeit, einen Krankenschein
zu schicken, aber es dauert mehrere Tage, bis die Post innerhalb des
JobCenters auf dem richtigen Schreibtisch landet - in Berlin sind es
durchschnittliche sechs Tage, wie uns ein JobCenter-Mitarbeiter verriet.
Bis dahin kann schon das Sanktionsverfahren eingeleitet worden sein und
muss dann mühsam wieder gestoppt werden. Dazu kommt, dass immer wieder
JobCenter normale Krankenscheine nicht als Entschuldigung gelten lassen
wollen, sondern Bescheinigungen für Bettlägerigkeit verlangt haben, die
Ärzte normalerweise nicht ausstellen. Dieses Vorgehen hat die
Bundesagentur für Arbeit inzwischen in einer Dienstanweisung als
unzulässig gewertet.

Es gibt auch Menschen, die auf Grund ihrer
bisherigen Erfahrungen mit dem JobCenter oder mit Behörden derart Angst
davor haben, was im JobCenter mit ihnen gemacht wird, dass sie trotz der
Sanktionsdrohung nicht zu einem Termin gehen. Und dann gibt es
diejenigen, die wegen ernster psychischer Probleme oder einer
Suchterkrankung nicht einmal ihren Alltag bewältigen können und ihre
gesamte Post nicht zur Kenntnis nehmen. Das Klischee, dass Leute einfach
zu faul sind, um morgens aufzustehen und ins JobCenter zu gehen, mag
vereinzelt zutreffen, aber in vielen Fällen dürfte es an der Realität
vorbeigehen.

"Schwerwiegende Versorgungslücken"

Claudia
Daseking: Natürlich gibt es auch unter Erwerbslosen Leute, die "total
verpeilt" sind, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen und die nicht
mit Behörden umgehen wollen oder können, aus welchen Gründen auch
immer. Aber kann es ein geeigneter Umgang damit sein, dass diesen
Menschen das Existenzminimum gekürzt wird? Wir finden: nein. So ein
Vorgehen mutet, gelinde gesagt, an wie der Versuch hilfloser Eltern, ihr
unartiges Kind zur Einsicht zu bewegen, indem das Spielzeug weggenommen
und das Kind ohne Abendbrot ins Bett geschickt wird.

Nun ist das
Leben als Hartz IV-Bezieher ohnehin kein Zuckerschlecken. Da muss es
doch dramatisch sein, wenn das Geld noch weiter gekürzt wird...

Claudia
Daseking: So ist es. Das Arbeitslosengeld II soll das Existenzminimum
abdecken und es ist zweifelhaft, ob das überhaupt gewährleistet ist. Es
liegt auf der Hand, dass schwerwiegende Versorgungslücken entstehen,
wenn an diesem Existenzminimum auch noch gekürzt wird. Diejenigen unter
den Sanktionierten, denen vielleicht noch das physische Existenzminimum
verbleibt, werden völlig vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten -
oder auch sie hungern, um nicht darauf zu verzichten. Menschliche
Existenz ist doch mehr als das nackte Überleben.

Wenn ein
Familienmitglied sanktioniert wird, sind alle im Haushalt davon
betroffen, schließlich werden im Kühlschrank keine Trennfächer
eingezogen. Wenn der Regelsatz eines Familienmitglieds komplett
gestrichen wird oder sogar dessen Wohnkosten nicht übernommen werden,
ist das besonders gravierend. Dann müssen zum Beispiel Eltern von den
Regelsätzen ihrer Kinder leben. Wenn Mietschulden entstehen, trifft dies
ebenso die nicht sanktionierten Familienmitglieder. Das ist Sippenhaft.

Komplette Streichung der Leistungen

Wie hoch fallen denn die Kürzungen des Hartz-IV-Geldes aus?

Solveig
Koitz: Das reicht von zehn Prozent des Regelsatzes für das erste Mal,
wenn man einen Termin im JobCenter verpasst, über 30 Prozent des
Regelsatzes, wenn einem das erste Mal ein anderer Pflichtverstoß zur
Last gelegt wird - vorausgesetzt, man ist mindestens 25 Jahre alt, den
unter 25jährigen wird schon beim ersten derartigen Pflichtverstoß 100
Prozent vom Regelsatzes gekürzt. Bei wiederholten Pflichtverletzungen
geht das ruckzuck bis zur vollständigen Streichung des gesamten Alg II,
also von Regelsatz, Wohnkosten und Sozialversicherungsbeiträgen. Die
Kürzungen erfolgen jeweils für drei Monate.

http://www.heise.de/tp/artikel/31/31162/1.html


Christoph
Butterwegge: Solche Erhebungen sind mir nicht bekannt, lassen sich aber
auch nur schwer durchführen. Da solche Kausalzusammenhang nur schwer
nachzuweisen sind, dürfte es auch kaum möglich sein, entsprechende
Statistiken zu erstellen. Das soziale Klima der Bundesrepublik hat sich
durch Hartz IV und andere Maßnahmen zum "Um-" beziehungsweise Abbau des
Wohlfahrtsstaates, wie man ihn bis dahin kannte, allerdings spürbar
verschlechtert. In das Leben der von Hartz IV unmittelbar Betroffenen
und Bedrohten sowie ihrer Familien greifen die Regelungen dieses
Gesetzespaketes drastisch ein. Die dadurch verursachten
gesundheitlichen, psychischen und psychosozialen Beeinträchtigungen
können in Einzelfällen ohne Zweifel lebensgefährdend wirken.

Warum
ist in den Medien davon so wenig zu erfahren und wieso hat man sich
hier bis auf ganz wenige Ausnahmen auf die Hetze gegen Hartz-IV-Bezieher
verlegt? Zum Beispiel ist im Grunde jemand, der von seiner
Arbeitslosenagentur sanktioniert wird, erst einmal von lebensnotwenigen
Ressourcen abgeschnitten. Thematisiert wird aber in den Medien immer die
angeblich hohe Zahl von Sozialbetrügern ..
http://www.tz-online.de/aktuelles/bayern/schlossherr-kassierte-hartz-fuhr-rolls-royce-2327194.html




Schlossherr kassierte Hartz IV und fuhr Rolls Royce

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22.05.12
Bayern


Schlossherr kassierte Hartz IV und fuhr Rolls Royce

Ebelsbach
- Schlossbesitzer Dominique A. (45) hat fast zwei Jahre lang Hartz IV
kassiert und einen Rolls Royce gefahren. Wir sein bayerisches Anwesen
jetzt noch verschenkt?

Dominique A. (45) ist ein Mann mit
großartigem Auftreten und ein Mann, dem die Eloquenz in die Wiege gelegt
wurde. Im Jahr 2000 kaufte das männliche Fotomodell für zwei Millionen
Mark das unterfränkische Renaissance-Schloss Ebelsbach – und zog alsbald
samt den Doggen und dem Pop-Art-Rolls-Royce in eine 400
Quadratmeter-Wohnung im Schloss ein. Dort lebte er auch, als er am 23.
Mai 2008 bei der Kölner ARGE für sich Hartz IV beantragte. Fast zwei
Jahre kassierte der Schlossherr nun unberechtigt 12 165,84 Euro. Bis ein
mysteriöser Großbrand diese Machenschaften ans Licht brachte …
Die nobelsten Kaufhäuser: Hier kann man den Luxus kaufen


Noch
im April hatte die tz berichtet, dass es in Ebelsbach ein Schloss zu
verschenken gebe! Der Eigentümer könne die Sanierungskosten in Höhe von
zehn Millionen Euro nach dem Großfeuer vom 10. September 2009 nicht
zahlen. Da wusste noch niemand, dass Dominique A. sich schon kurz darauf
wegen Betrugs vor dem Amtsgericht Köln verantworten musste.


In
seinem Antrag auf Sozialhilfe hatte er nicht nur sein Schloss, sondern
auch eine Uhrensammlung für 150 000 Euro, ein Hausboot in Hamburg, den
Rolls-Royce und seinen Zugriff aufs Konto der Mama verschwiegen – über
das er auch Luxusartikel, Res­taurant- und Hotelrechnungen bezahlte.
„Ich träumte davon, Schloss Ebelsbach wieder in neuem Glanz erstrahlen
zu lassen und bat meine Mutter, mir zu helfen“, rechtfertigt A. heute
sein Tun. Zudem habe er unter dem Einfluss eines starken Schmerzmittels
gestanden.

Der Richter in Köln hielt ihm sein Geständnis zugute
und verurteilte ihn zu neun Monaten Haft auf Bewährung. Bedingung: Der
Schlossherr macht den Schaden wieder gut.

Das würde man sich in
Ebelsbach nur zu gerne auch wünschen. Noch heute wundert sich
Bürgermeister Werner Ziegler (62), wie man dem Schlossherrn solange
gewähren lassen konnte: „Er trat immer geschniegelt auf, immer feine
Anzüge. Mal kam er im Bentley, mal mit dem Daimler.“ Und überhaupt erst
die hochfliegenden Pläne – im Schloss sollte ein Fünf-Sterne-Hotel
eingerichtet werden, dazu auch gleich ein Businesscenter. Wie sich
herausstellte, waren diese allesamt nur Luftschlösser. Ziegler: „Dafür
spielte er beim Altherren-Fußball mit, als ginge es auf dem Platz um die
Champions League. Auch die Brotzeit hat er gern genossen. Doch in die
Kasse gab er nie etwas. Er war ein richtiger Absahner!“

Das ist
allerdings juristisch nicht von Bedeutung. Zudem wurden Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft Bamberg wegen Brandstiftung eingestellt, mit der
Begründung: keine hinreichenden Verdachtsmomente.

Dominique A.
hat sich nach Mallorca zurückgezogen, wo er in den 90er-Jahren die
Wirtschaftsförderung leitete. Er sagt heute: „Schloss Ebelsbach hat mir
kein Glück gebracht.“ Stattdessen saniert er nun mit Freunden ein
Ferienhaus. Es nennt sich Casa Phönix. Vielleicht deswegen, weil A.
eines Tages selbst wie Phönix aus der Asche aufsteigen könnte?

Was mit dem Schloss passiert, ist weiter unklar. Ob und wer sich es sich schenken lässt, wird sich zeigen ...

tz

http://www.tz-online.de/aktuelles/bayern/schlossherr-kassierte-hartz-fuhr-rolls-royce-2327194.html






Christoph
Butterwegge: Für mich sind Klischees wie das der Griechen, die faul in
der Sonne liegen, statt fleißig zu arbeiten und das der
Hartz-IV-Empfänger, die faul in der Hängematte unseres Sozialstaates
liegen, ohne sich um eine Stelle zu bemühen, ein Austragungsmodus
gesellschaftlicher Verteilungskämpfe. Indem man die von Arbeitslosigkeit
und Armut betroffenen Menschen in der Öffentlichkeit selbst für ihre
Misere verantwortlich macht, werden die in Wirklichkeit politisch und
ökonomisch Verantwortlichen entlastet sowie die grundlegenden
Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse verschleiert. Das ist umso
weniger verwunderlich, als zumindest die privaten Massenmedien davon
unmittelbar profitierenden Verlegern, Konzernen und Großaktionären
gehören.

Können Sie uns eine Abschätzung abgeben, wie unangenehm es sich unter Hartz IV im EU-weiten Vergleich lebt?

Christoph
Butterwegge: Deutschland ist mit Gerhard Schröders "Agenda 2010", den
sogenannten Hartz-Gesetzen zur Deregulierung des Arbeitsmarktes und der
Erhöhung des gesetzlichen Eintrittsalters durch die zweite Große
Koalition auf Bundesebene vorangegangen, exportiert wird diese Politik
der sozialen Eiseskälte gegenwärtig im Rahmen der Finanz-, Wirtschafts-
und Währungskrise allerdings mit dem dafür nötigen Druck auch in die
europäischen Partnerländer. "Eigenverantwortung" statt Solidarität heißt
es. Nach der Hartz-IV-Logik geht es heute Griechenland gegenüber um
Fordern und gegebenenfalls Hinausbefördern aus der Euro-Zone.
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Immer
wieder wird der juristisch gebotenen Abmilderung des Hatz IV-Elends von
Seiten der Politik ein Riegel vorgeschoben. So wird das Betreuungsgeld


http://www.sueddeutsche.de/politik/kein-betreuungsgeld-fuer-hartz-iv-bezieher-wahlfreiheit-haben-nur-die-gutverdienenden-1.1341295


für
Hartz IV-Bezieher wohl aus angeblich rechtlichen Gründen verweigert,
dabei müsste dieses einfach nur nicht als Einkommen gewertet werden, wie
es zum Beispiel beim Pflegegeld geschieht. Gleichzeitig schmeißt der
Staat den Banken qua Rettungsschirm ohne jegliche Gegenleistung
Milliardenbeträge hinterher. Wie viel Ungerechtigkeit hält unser
Gemeinwesen aus?

Christoph Butterwegge: Das von der CSU
durchgesetzte, aber sogar innerhalb der Union weiter höchst umstrittene
Betreuungsgeld ist wahrscheinlich die unsinnigste Sozialleistung seit
Christi Geburt. Dass man es ausgerechnet jenen Familien vorenthalten
will, die finanzieller Unterstützung am meisten bedürfen, zeigt
deutlich, wie unsozial die Regierungspolitik der CDU/CSU/FDP-Koalition
ist. Bezüglich der sozialen Ungerechtigkeit nähert sich die
Bundesrepublik den USA und anderen weniger entwickelten
Wohlfahrtsstaaten immer mehr an. Auch die Folgen dürften ähnlich sein:
Es droht ein Zerfall der Gesellschaft; besonders die Metropolen unseres
Landes müssen künftig mit noch mehr Drogenmissbrauch, Brutalität und
Kriminalität rechnen.


Kein Betreuungsgeld für Hartz-IV-Bezieher "Wahlfreiheit haben nur die Gutverdienenden"

25.04.2012, 13:42
Von Barbara Galaktionow

Hartz-IV-Familien
sollen nicht vom Betreuungsgeld profitieren. Das plant die
schwarz-gelbe Regierungskoalition und behauptet zugleich, das gehe
rechtlich gar nicht anders. "Nonsens", heißt es von Seiten der
Sozialverbände. Die Koalition gönne den Arbeitslosen die Leistung
einfach nicht.




Krippe oder privat geregelte
Betreuung? Mit dem geplanten Betreuungsgeld will die Regierung für
Eltern "Wahlfreiheit" schaffen. Mama und Papa sollen selbst entscheiden,
auf welche Weise ihr Kleinkind am besten versorgt wird.

Anzeige

Doch
eine Gruppe soll nach dem Willen der schwarz-gelben Koalition keine
Wahlfreiheit haben: die Hartz-IV-Empfänger. Ihnen soll das
Betreuungsgeld zwar ausgezahlt, dann aber sogleich wieder auf den
Hartz-IV-Bezug angerechnet, sprich: abgezogen werden. Das sei rechtlich
gar nicht anders möglich, heißt es aus Regierungskreisen. Durch ein
höheres Einkommen von zunächst 100, später 150 Euro Betreuungsgeld müsse
zwangsläufig der Hartz-IV-Satz sinken.

"Alles Nonsens", sagt
Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. "Die
Koalition traut sich nicht zuzugeben, dass sie Hartz-IV-Beziehern dieses
Geld schlicht nicht gönnt." Rechtlich sei eine Auszahlung der neuen
Leistung auch an Hartz-IV-Empfänger nicht nur möglich, sondern sogar
geboten.

Es gebe in der Hartz-IV-Gesetzgebung einen Passus, in
dem geregelt werde, was alles als Einkommen gelte. Wenn das
Betreuungsgeld hier nicht aufgenommen würde, müsse es auch nicht vom
Arbeitslosengeld II abgezogen werden. Dass dies möglich sei, zeigten
Leistungen wie das Pflegegeld oder Entschädigungsleistungen wie zum
Beispiel für Kriegsopfer, die bewusst nicht angerechnet würden. Auch das
Elterngeld sei ja bis zum Sparpaket 2010 an Hartz-IV-Bezieher
ausgezahlt worden.

Das Betreuungsgeld sei kein Einkommen, sondern
eine "Anerkennungsprämie", die allein deshalb gezahlt werde, weil
Menschen ihr Kind nicht in öffentliche Kindertagesstätten schickten.
Daher halte der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Ungleichbehandlung
für verfassungsrechtlich bedenklich.
Die Hilflosigkeit der Bundesregierung

Auch
das Argument, dass hier falsche Anreize beseitigt würden, wonach gerade
sozial benachteiligte Kinder des Geldes wegen zu Hause versorgt würden,
lässt Schneider nicht gelten. Studien aus Thüringen und Schweden, wo es
bereits ein Betreuungsgeld gibt, hatten solche Effekte aufgezeigt.

"Dieses
Argument würde dann greifen, wenn wir in Deutschland überhaupt genügend
Kinderkrippen hätten", sagt der Verbandschef. Doch das sei nicht der
Fall. Gerade Alleinerziehende würden händeringend nach einer
Betreuungsmöglichkeit suchen, sie wollten ja arbeiten. Solange nicht
alle Eltern für ihre Kinder einen Krippenplatz bekämen, die dies
wollten, sei diese Argumentation daher "obszön". "Wahlfreiheit haben nur
die Gutverdienenden", sagt Schneider.

Das sieht man bei der
Arbeiterwohlfahrt ähnlich: Es sei seit langem bekannt, dass das
Betreuungsgeld "Fehlanreize" schaffe und dazu führe, dass gerade die
Familien ihre Kinder aus der Kita nähmen oder sie erst gar nicht
hinschickten, die von einem Kita-Platz besonders profitieren, teilt
AWO-Chef Wolfgang Stadler auf der Internetseite des Verbands mit.

"Aber
das lässt sich aus Sicht der AWO nicht dadurch lösen, dass man das
Betreuungsgeld nur noch Familien mit besserem Einkommen gewährt." Der
Aktionismus der Bundesregierung und ihre täglich neuen Vorschläge zum
Betreuungsgeld zeigten nur eines: ihre Hilflosigkeit. Egal, was die
Bundesregierung noch verspreche oder vorschlage, "es macht das
Betreuungsgeld weder richtiger noch sinnvoller", so Stadler.

Auch
in der Lösung des Problems sind sich die Verbandschef einig: Das ganze
Projekt Betreuungsgeld muss gekippt werden. Statt in die umstrittene
neue Familienleistung solle das Geld in den Ausbau von
Betreuungseinrichtungen und Bildungsinstitutionen gesteckt werden,
fordern sie. "Dann kommt das Geld auch da an, wo es hingehört", betont
Stadler. Und Schneider präzisiert: "Und nicht auf den Sparkonten
Wohlhabender."



Wie wird es Ihrer Einschätzung mit dem
Sozialstaat weitergehen und kann man sich bei den Alternativen dazu auf
die politischen Parteien verlassen?

Christoph Butterwegge: Wenn
keine grundlegende Kurskorrektur erfolgt, spaltet sich unser Gemeinwesen
in einen Wohlfahrtsmarkt sowie einen Wohltätigkeitsstaat: Auf dem
Wohlfahrtsmarkt kaufen sich Bürger, die es sich finanziell leisten
können, soziale Sicherheit (zum Beispiel Altersvorsorge durch
Versicherungspolicen der Assekuranz). Der zu Grunde reformierte
Sozialstaat stellt nur noch die euphemistisch "Grundsicherung" genannte
Minimalleistungen bereit, die Menschen vor dem Verhungern und Erfrieren
bewahren, überlässt sie ansonsten jedoch der Obhut karitativer
Organisationen und privater Wohltäter. An die Stelle des Sozialstaates
tritt ein Staat der Stifter, privaten Spender und Sponsoren.

Mit
der solidarischen Bürgerversicherung verfügen SPD, Bündnisgrüne und
LINKE zwar über eine sinnvolle Alternativkonzeption zum Fürsorge-,
Almosen- und Suppenküchenstaat. Leider fehlt ihnen jedoch die Fähigkeit
und Bereitschaft, dafür gemeinsam einzutreten und es konsequent
umzusetzen. Nur so könnte der Wohlfahrtsstaat eine sinnvolle
Weiterentwicklung erfahren, statt endgültig ruiniert zu werden.

http://www.heise.de/tp/artikel/36/36980/1.html

http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2012/05/hartz-iv-und-die-zukunft-des.html
Willi Schartema
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