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Absenkung des Arbeitslosengeld II - Ablehnung einer unzumutbaren Beschäftigung - wichtiger Grund - Sittenwidrigkeit des Arbeitsentgelts - Mindestverdienstgrenze für Berlin 2011
Seite 1 von 1
Absenkung des Arbeitslosengeld II - Ablehnung einer unzumutbaren Beschäftigung - wichtiger Grund - Sittenwidrigkeit des Arbeitsentgelts - Mindestverdienstgrenze für Berlin 2011
Leitsatz
1. Eine Vermittlung in wegen sittenwidriger Vergütung rechtswidrige
Arbeitsverhältnisse darf von der an das Gesetz gebundenen
Sozialverwaltung auch im Grundsicherungsbereich nicht vorgenommen und
nicht mittels Sanktionen erzwungen werden. (Anschluss an SG Berlin,
Urteil vom 27.02.2006, Az. S 77 AL 742/05 und Beschluss vom 01.09.2010, S
55 AS 24521/10 ER) Eine sittenwidrige Beschäftigung ist unzumutbar im
Sinne von § 10 Abs 1 Nr 5 SGB II und darf ohne weitere wichtige Gründe
abgelehnt werden, selbst wenn der Hilfebedarf dadurch reduziert würde.
2. Ein auffälliges Missverhältnis, das die Sittenwidrigkeit im Sinne
des § 138 Abs 1 BGB begründet, weil es gegen die in den
grundgesetzlichen sowie in Art 4 Nr 1 der Europäischen Sozialcharta
(EuSC) als einfachem Bundesrecht zum Ausdruck kommenden
Wertentscheidungen verstößt, ist anzunehmen, wenn das angebotene
Arbeitsentgelt bei Vollzeitarbeit mit durchschnittlicher Arbeitsleistung
unter dem Grundsicherungsniveau für eine volljährige alleinstehende
Person ohne Unterhaltsverpflichtungen, bei grundsicherungsrechtlich
angemessener durchschnittlicher Unterkunft und bei uneingeschränkter
Erwerbsfähigkeit liegt.
3. Für das Jahr 2011 ist für Berlin
bei einer Vollzeitbeschäftigung eine monatliche Bruttovergütung von
weniger als 1058 EUR (netto: 815 EUR) sittenwidrig. (Stundenlohn bei
einer 38,5-Stunden-Woche: 6,34 EUR)
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
vom 6. September 2011 gegen den Bescheid vom 29. August 2011 wird
angeordnet. Der Antragsgegnerin wird auferlegt, der Antragstellerin auch
für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2011 Arbeitslosengeld
II wie im Bescheid vom 7. Juni 2011 bewilligt zu zahlen.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
3. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen
bewilligt und Rechtsanwältin M B zu den Bedingungen eines ortsansässigen
Rechtsanwalts beigeordnet.
Gründe
1
Die
Beteiligten streiten sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
gegen einen Bescheid über die Reduzierung bewilligter
Grundsicherungsleistungen wegen einer Sanktion nach § 31 SGB II.
2
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom
7. Juni 2011 Arbeitslosengeld II für die Kalendermonate Juli bis
Dezember 2011 in monatlicher Höhe von 745,00 EUR (364,00 EUR
Regelbedarf, 381,00 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung). Mit
Schreiben vom 11. Juli 2011 unterbreitete sie der Antragstellerin ein
bis zum 30. November 2011 befristetes Stellenangebot als Helferin Ver-
und Entsorgung bei dem a… e.V. Beschäftigungsförderung für eine
wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche gegen ein Gehalt von
900,00 EUR (brutto). Gegenstand der Tätigkeit sollte die Beratung und
Unterstützung von Verbraucher/innen im Bereich umweltfreundlicher
Abfallentsorgung und die Hilfe bei der fachgerechten Sortierung/Trennung
von Abfall und Wertstoffen sein. Es handelte sich um eine
Arbeitsgelegenheit nach § 16d Satz 1 SGB II (Entgeltvariante).
3
Sie hat mit Bescheid vom 29. August 2011 den Eintritt einer Sanktion
mit einem Umfang von 30 Prozent des Regelsatzes festgestellt und die
erfolgte Leistungsbewilligungen geändert und den Leistungsumfang jeweils
um 109,20 Euro gemindert. Dagegen hat die Antragstellerin Widerspruch
eingelegt. Sie begründet den Widerspruch damit, dass sie sich beim
Arbeitgeber korrekt vorgestellt habe, jedoch aufgrund eines
Rückenleidens nicht in der Lage sei, 8 Stunden am Tag herum zu laufen
und Informationen über die Mülltrennung weiter zu geben. Sie sei zudem
krank geschrieben gewesen und hätte ohnehin keine Arbeit antreten
können.
4
Die Antragstellerin beantragt mit ihrem Antrag vom 15. September 2011
5
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom
6. September 2011 gegen den Bescheid vom 29. August 2011 anzuordnen und
6
der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung aufzuerlegen, für
die Monate Oktober bis Dezember 2011 monatlich weitere 109,20 EUR zu
zahlen.
7
Die Antragsgegnerin beantragt,
8
den Antrag abzulehnen.
9
Noch im Beratungsgespräch im März 2011 sei eine Anstellung im
Reinigungsgewerbe als Integrationsziel vereinbart worden. Beim
Vorstellungsgespräch habe die Antragstellerin keine gesundheitlichen
Bedenken geäußert sondern die Vergütung für zu niedrig gehalten. Das
monatliche Entgelt müsse nicht geeignet sein, eine gänzliche
Unabhängigkeit von Sozialleistungen herbeizuführen, weshalb eine
Unzumutbarkeit der Arbeitsgelegenheit aus der Vergütung nicht
resultieren könne.
10
Der Eintritt der aufschiebenden
Wirkung der Widersprüche war im Falle der Antragstellerin anzuordnen.
Damit werden Rechte der Beteiligten nicht verletzt, denn der
angefochtene Bescheid erweist sich als rechtswidrig.
11
Nach § 86a Abs 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Klage aufschiebende
Wirkung. § 39 SGB II trifft eine Spezialregelung, nach welcher
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt
oder widerruft, keine aufschiebende Wirkung haben (Nr. 1).
12
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der mit dem
Widerspruch angefochtene Verwaltungsakt, der Leistungsabsenkungen nach §
31 SGB II betrifft, der aufschiebenden Wirkung nach der allgemeinen
Vorschrift des § 86a Abs 1 Satz 1 SGG nicht unterliegen. Insoweit räumt §
86b SGG auch für sofort vollziehbare Verwaltungsakte die Möglichkeit
der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ein.
13
Diese
Anordnung hatte hier zu erfolgen, weil der angefochtene Verwaltungsakt
erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt ist und deshalb sowohl das
öffentliche Interesse als auch das Suspensivinteresse der
Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegen,
weshalb der vom Gesetzgeber angeordnete grundsätzliche Vorrang des
Vollzugsinteresses nicht wirksam werden kann. Bestehen erhebliche
rechtliche Bedenken erheischt das Legalitätsprinzip Beachtung, was
sowohl im öffentlichen Interesse als auch im Interesse des einzelnen
Bürgers, das im Übrigen auch vom Allgemeininteresse zu beobachten ist,
das Vollzugsinteresse zurücktreten lassen muss.
14
Das
erfolgte Vermittlungsangebot musste nicht befolgt werden, denn die
angebotene Arbeitsgelegenheit war wegen ihrer sittenwidrigen Vergütung
unzumutbar (§ 10 Abs 1 Nr 5 SGB II). Es handelte sich um die Vermittlung
in ein Arbeitsverhältnis und nicht in eine Maßnahme mit
Mehraufwandsentschädigung. Bei der angebotenen Arbeitsgelegenheit in der
Entgeltvariante gilt Arbeitsrecht uneingeschränkt (Thie in LPK-SGB II,
2. Aufl. § 16d RdNr 8, 10 mwN). Eine Vermittlung in rechtswidrige
Arbeitsverhältnisse darf von der an das Gesetz gebundenen
Sozialverwaltung nicht vorgenommen und schon gar nicht mittels
Sanktionen erzwungen werden. Im vorliegenden Falle folgt die
Rechtswidrigkeit des Stellenangebotes aus der Sittenwidrigkeit der
Vergütung. Die Kammer hält derzeit für Berlin bei einer
Vollzeitbeschäftigung eine monatliche Bruttovergütung von weniger als
1058 EUR für sittenwidrig. Die Kammer folgt insofern dem Urteil des
Sozialgerichts Berlin vom 27.02.2006, Az. S 77 AL 742/05 und dem
Beschluss der Kammer vom 1. September 2010, S 55 AS 24521/10 ER. Ein
auffälliges Missverhältnis, das die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138
Abs 1 BGB begründet, weil es gegen die in den grundgesetzlichen sowie in
Art 4 Nr 1 der Europäischen Sozialcharta als einfachem Bundesrecht zum
Ausdruck kommenden Wertentscheidungen verstößt, ist anzunehmen, wenn der
angebotene Lohn bei Vollzeitarbeit mit einer durchschnittlichen
Arbeitsleistungserwartung unter dem Grundsicherungsniveau für eine
volljährige alleinstehende Person ohne Unterhaltsverpflichtungen, bei
grundsicherungsrechtlich angemessener Unterkunft und bei
uneingeschränkter Erwerbsfähigkeit liegt. Unter Beachtung der Wirkung
der wesentlichen Verfassungsmaßstäbe des Grundgesetzes, insbesondere des
Würdeanspruches und des Sozialstaatsgebotes, wie auch der
bundesgesetzlichen Wertvorgaben des Art 4 Nr 1 der Europäischen
Sozialcharta beanspruchen diese Werte über die zivilrechtliche
Schutzvorschrift des § 138 Abs 1 BGB auch im privaten Arbeitsverhältnis
zwingende Beachtung. Diese Wertmaßstäbe wurden durch die Entscheidung
des BVerfG vom 9. Februar 2010 erneut bestätigt. Mit der
gesetzgeberischen Entscheidung über das Niveau der
Grundsicherungsleistung trifft nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG
der Gesetzgeber die auch für die anderen Rechtsbereiche maßgebliche
Entscheidung über das Niveau des würdeverbürgenden und ein Mindestmaß an
sozialer Teilhabe gewährleistenden Existenzminimums. Dieses strahlt als
das bundesdeutsche Gemeinwesen grundlegender Wert auch in das private
Arbeitsrecht. Unsere Verfassungs- und Rechtsordnung toleriert wegen
dieser Vorgaben grundsätzlich keine Arbeitsvergütung, die dem
Arbeitnehmer bei vollschichtiger Beschäftigung und durchschnittlicher
Arbeitsleistung die Absicherung bereits der eigenen menschenwürdigen
Existenz nicht erlaubt. Dass auch angesichts dieser Grenze, insbesondere
bei Unterhaltsverpflichtungen oder Teilzeitarbeit ein rechtmäßiges
Arbeitsentgelt nicht stets dazu führt, dass der Arbeitnehmer unabhängig
von Transferleistungen leben kann, spricht nicht gegen diese
Grenzziehung.
15
Unter Zugrundelegung der im zitierten
Urteil des SG Berlin aufgestellten Maßstäbe und unter Fortschreibung
der dort angewandten Werte ist für Berlin im Jahr 2011 bei
Vollzeitbeschäftigung eine Vergütung, die den Nettobetrag von 815,27
EUR/1058,00 EUR brutto unterschreitet, sittenwidrig wegen eines
unangemessen niedrigen Lohnes. Der Wert von 815,27 EUR errechnet sich
wie folgt: er berücksichtigt den derzeit gültigen
grundsicherungsrechtlichen Regelbedarf von 364,00 EUR, durchschnittlich
als angemessen geltende Kosten der Unterkunft und Heizung KdU (bei 45 m2
und 4,92 €/m2 Kaltmiete + 2,40 €/m2 Neben- und Heizungskosten) von
329,40 EUR (nach der AV Wohnen sind 378 € zulässig), sowie die mit der
Erwerbstätigkeit anfallenden notwendigen Aufwendungen: für eine
Monatskarte von 57,92 € (BVG Abo für Berlin-AB) abzgl des Anteils für
Fahrkosten im Regelsatz nach § 5 RBEG 22,78 €, Aufwendungen für
notwendige Versicherungen 30,00 €, für die Riesterrente 41,40 € und
Werbungskosten pauschal (§ 6 I Nr 3a ALG II VO) 15,33 €. Ein
Nettoeinkommen von 815,27 EUR setzt für einen alleinstehenden
Hilfebedürftigen einen Bruttolohn von 1058 EUR voraus (Stundenlohn bei
einer 38,5-Stunden-Woche: 6,34 EUR). Wegen der weiteren rechtlichen
Gründe verweist die Kammer auf das zitierte Urteil des SG Berlin. Eine
sittenwidrige Beschäftigung ist unzumutbar im Sinne von § 10 Abs 1 Nr 5
SGB II und darf ohne weitere wichtige Gründe abgelehnt werden, selbst
wenn der Hilfebedarf dadurch reduziert würde. Wollte man den Wert des
jüngsten Existenzminimumsberichts für das gesamte Bundesgebiet für
grundsicherungsrechtlich relevante Miet- und Heizungskosten ansetzen
(284 EUR), läge die Nettogrenze bei 769,87 EUR und die
Bruttoentgeltgrenze bei 989 EUR.
16
Im Falle der
Antragstellerin erreicht die Vergütung trotz der angebotenen
Vollzeitbeschäftigung bei keiner Betrachtung die erforderliche
Mindestvergütung. Die Antragstellerin ist auch nicht darauf zu
verweisen, sich einen angemessenen Lohn gerichtlich zu erstreiten.
Vielmehr hat die Antragsgegnerin bei ihren Stellenangeboten die
Rechtmäßigkeit der Angebote von Amts wegen vorher zu prüfen. Eine
monatliche Differenz von 158 EUR lässt sich auch nicht damit
rechtfertigen, dass die Arbeitsgelegenheit unter Teilhabeaspekten einer
besonderen Förderung unterliegt und deshalb die allgemeinen
arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht zu erfüllen bräuchte. Insofern wären
andere Förderinstrumente zu wählen. Es ist auch nicht erkennbar, dass es
um eine lediglich anfänglich geringere Vergütung gehe, die nach
Einarbeitung dann auf eine rechtlich akzeptables Maß erhöht werden würde
und deshalb die während der Einarbeitungszeit zu erwartende geringere
Arbeitsleistung einen entsprechenden Abschlag rechtfertigen würde. Die
Stelle war auf wenige Monate befristet und sollte keine Entgelterhöhung
vorsehen. Es war nach entsprechender Schulung keine reduzierte
Leistungserwartung für das Entgelt maßgeblich. Ein tariflicher
Mindestlohn war für die angebotene Arbeitsgelegenheit, soweit
ersichtlich, nicht einschlägig.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 173 Abs 3 Nr 1 SGG).
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/12m0/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE110016793&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint
Berliner
Jobcenter dürfen Hartz IV-Empfänger nicht in rechtswidrige
Arbeitsverhältnisse vermitteln und schon gar nicht mittels Sanktionen
erzwingen - menschenwürdigen Existenz muss erhalten bleiben(Entscheidung
des BVerfG vom 9. Februar 2010)
Mit Beschluss vom gestrigem Tage hat
das SG Berlin mit Beschluss vom 19.09.2011, - S 55 AS 24521/11 ER -
fest gestellt, dass der mit dem Widerspruch angefochtene Verwaltungsakt,
der Leistungsabsenkungen nach § 31 SGB II betrifft, der aufschiebenden
Wirkung nach der allgemeinen Vorschrift des § 86a Abs 1 Satz 1 SGG nicht
unterliegen. Insoweit räumt § 86b SGG auch für sofort vollziehbare
Verwaltungsakte die Möglichkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung
ein.
Das erfolgte Vermittlungsangebot musste nicht befolgt
werden, denn die angebotene Arbeitsgelegenheit war wegen ihrer
sittenwidrigen Vergütung unzumutbar (§ 10 Abs 1 Nr 5 SGB II). Es
handelte sich um die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis und nicht in
eine Maßnahme mit Mehraufwandsentschädigung. Bei der angebotenen
Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante gilt Arbeitsrecht
uneingeschränkt (Thie in LPK-SGB II, 2. Aufl. § 16d RdNr 8, 10 mwN).
Eine
Vermittlung in rechtswidrige Arbeitsverhältnisse darf von der an das
Gesetz gebundenen Sozialverwaltung nicht vorgenommen und schon gar nicht
mittels Sanktionen erzwungen werden.
Im vorliegenden Falle folgt die Rechtswidrigkeit des Stellenangebotes aus der Sittenwidrigkeit der Vergütung.
Die Kammer hält derzeit für Berlin bei einer Vollzeitbeschäftigung eine
monatliche Bruttovergütung von weniger als 1058 EUR für sittenwidrig.
Die Kammer folgt insofern dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom
27.02.2006, Az. S 77 AL 742/05 und dem Beschluss der Kammer vom 1.
September 2010, S 55 AS 24521/10 ER).
Ein auffälliges
Missverhältnis, das die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs 1 BGB
begründet, weil es gegen die in den grundgesetzlichen sowie in Art 4 Nr 1
der Europäischen Sozialcharta als einfachem Bundesrecht zum Ausdruck
kommenden Wertentscheidungen verstößt, ist anzunehmen, wenn der
angebotene Lohn bei Vollzeitarbeit mit einer durchschnittlichen
Arbeitsleistungserwartung unter dem Grundsicherungsniveau für eine
volljährige alleinstehende Person ohne Unterhaltsverpflichtungen, bei
grundsicherungsrechtlich angemessener Unterkunft und bei
uneingeschränkter Erwerbsfähigkeit liegt.
Unter Beachtung der
Wirkung der wesentlichen Verfassungsmaßstäbe des Grundgesetzes,
insbesondere des Würdeanspruches und des Sozialstaatsgebotes, wie auch
der bundesgesetzlichen Wertvorgaben des Art 4 Nr 1 der Europäischen
Sozialcharta beanspruchen diese Werte über die zivilrechtliche
Schutzvorschrift des § 138 Abs 1 BGB auch im privaten Arbeitsverhältnis
zwingende Beachtung.
Diese Wertmaßstäbe wurden durch die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 erneut bestätigt.
Mit
der gesetzgeberischen Entscheidung über das Niveau der
Grundsicherungsleistung trifft nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG
der Gesetzgeber die auch für die anderen Rechtsbereiche maßgebliche
Entscheidung über das Niveau des würdeverbürgenden und ein Mindestmaß an
sozialer Teilhabe gewährleistenden Existenzminimums.
Dieses
strahlt als das bundesdeutsche Gemeinwesen grundlegender Wert auch in
das private Arbeitsrecht. Unsere Verfassungs- und Rechtsordnung
toleriert wegen dieser Vorgaben grundsätzlich keine Arbeitsvergütung,
die dem Arbeitnehmer bei vollschichtiger Beschäftigung und
durchschnittlicher Arbeitsleistung die Absicherung bereits der eigenen
menschenwürdigen Existenz nicht erlaubt.
Dass auch angesichts
dieser Grenze, insbesondere bei Unterhaltsverpflichtungen oder
Teilzeitarbeit ein rechtmäßiges Arbeitsentgelt nicht stets dazu führt,
dass der Arbeitnehmer unabhängig von Transferleistungen leben kann,
spricht nicht gegen diese Grenzziehung.
http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2011/09/berliner-jobcenter-durfen-hartz-iv.html
Gruß Willi S
1. Eine Vermittlung in wegen sittenwidriger Vergütung rechtswidrige
Arbeitsverhältnisse darf von der an das Gesetz gebundenen
Sozialverwaltung auch im Grundsicherungsbereich nicht vorgenommen und
nicht mittels Sanktionen erzwungen werden. (Anschluss an SG Berlin,
Urteil vom 27.02.2006, Az. S 77 AL 742/05 und Beschluss vom 01.09.2010, S
55 AS 24521/10 ER) Eine sittenwidrige Beschäftigung ist unzumutbar im
Sinne von § 10 Abs 1 Nr 5 SGB II und darf ohne weitere wichtige Gründe
abgelehnt werden, selbst wenn der Hilfebedarf dadurch reduziert würde.
2. Ein auffälliges Missverhältnis, das die Sittenwidrigkeit im Sinne
des § 138 Abs 1 BGB begründet, weil es gegen die in den
grundgesetzlichen sowie in Art 4 Nr 1 der Europäischen Sozialcharta
(EuSC) als einfachem Bundesrecht zum Ausdruck kommenden
Wertentscheidungen verstößt, ist anzunehmen, wenn das angebotene
Arbeitsentgelt bei Vollzeitarbeit mit durchschnittlicher Arbeitsleistung
unter dem Grundsicherungsniveau für eine volljährige alleinstehende
Person ohne Unterhaltsverpflichtungen, bei grundsicherungsrechtlich
angemessener durchschnittlicher Unterkunft und bei uneingeschränkter
Erwerbsfähigkeit liegt.
3. Für das Jahr 2011 ist für Berlin
bei einer Vollzeitbeschäftigung eine monatliche Bruttovergütung von
weniger als 1058 EUR (netto: 815 EUR) sittenwidrig. (Stundenlohn bei
einer 38,5-Stunden-Woche: 6,34 EUR)
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
vom 6. September 2011 gegen den Bescheid vom 29. August 2011 wird
angeordnet. Der Antragsgegnerin wird auferlegt, der Antragstellerin auch
für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2011 Arbeitslosengeld
II wie im Bescheid vom 7. Juni 2011 bewilligt zu zahlen.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
3. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen
bewilligt und Rechtsanwältin M B zu den Bedingungen eines ortsansässigen
Rechtsanwalts beigeordnet.
Gründe
1
Die
Beteiligten streiten sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
gegen einen Bescheid über die Reduzierung bewilligter
Grundsicherungsleistungen wegen einer Sanktion nach § 31 SGB II.
2
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom
7. Juni 2011 Arbeitslosengeld II für die Kalendermonate Juli bis
Dezember 2011 in monatlicher Höhe von 745,00 EUR (364,00 EUR
Regelbedarf, 381,00 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung). Mit
Schreiben vom 11. Juli 2011 unterbreitete sie der Antragstellerin ein
bis zum 30. November 2011 befristetes Stellenangebot als Helferin Ver-
und Entsorgung bei dem a… e.V. Beschäftigungsförderung für eine
wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche gegen ein Gehalt von
900,00 EUR (brutto). Gegenstand der Tätigkeit sollte die Beratung und
Unterstützung von Verbraucher/innen im Bereich umweltfreundlicher
Abfallentsorgung und die Hilfe bei der fachgerechten Sortierung/Trennung
von Abfall und Wertstoffen sein. Es handelte sich um eine
Arbeitsgelegenheit nach § 16d Satz 1 SGB II (Entgeltvariante).
3
Sie hat mit Bescheid vom 29. August 2011 den Eintritt einer Sanktion
mit einem Umfang von 30 Prozent des Regelsatzes festgestellt und die
erfolgte Leistungsbewilligungen geändert und den Leistungsumfang jeweils
um 109,20 Euro gemindert. Dagegen hat die Antragstellerin Widerspruch
eingelegt. Sie begründet den Widerspruch damit, dass sie sich beim
Arbeitgeber korrekt vorgestellt habe, jedoch aufgrund eines
Rückenleidens nicht in der Lage sei, 8 Stunden am Tag herum zu laufen
und Informationen über die Mülltrennung weiter zu geben. Sie sei zudem
krank geschrieben gewesen und hätte ohnehin keine Arbeit antreten
können.
4
Die Antragstellerin beantragt mit ihrem Antrag vom 15. September 2011
5
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom
6. September 2011 gegen den Bescheid vom 29. August 2011 anzuordnen und
6
der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung aufzuerlegen, für
die Monate Oktober bis Dezember 2011 monatlich weitere 109,20 EUR zu
zahlen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
8
den Antrag abzulehnen.
9
Noch im Beratungsgespräch im März 2011 sei eine Anstellung im
Reinigungsgewerbe als Integrationsziel vereinbart worden. Beim
Vorstellungsgespräch habe die Antragstellerin keine gesundheitlichen
Bedenken geäußert sondern die Vergütung für zu niedrig gehalten. Das
monatliche Entgelt müsse nicht geeignet sein, eine gänzliche
Unabhängigkeit von Sozialleistungen herbeizuführen, weshalb eine
Unzumutbarkeit der Arbeitsgelegenheit aus der Vergütung nicht
resultieren könne.
10
Der Eintritt der aufschiebenden
Wirkung der Widersprüche war im Falle der Antragstellerin anzuordnen.
Damit werden Rechte der Beteiligten nicht verletzt, denn der
angefochtene Bescheid erweist sich als rechtswidrig.
11
Nach § 86a Abs 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Klage aufschiebende
Wirkung. § 39 SGB II trifft eine Spezialregelung, nach welcher
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt
oder widerruft, keine aufschiebende Wirkung haben (Nr. 1).
12
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der mit dem
Widerspruch angefochtene Verwaltungsakt, der Leistungsabsenkungen nach §
31 SGB II betrifft, der aufschiebenden Wirkung nach der allgemeinen
Vorschrift des § 86a Abs 1 Satz 1 SGG nicht unterliegen. Insoweit räumt §
86b SGG auch für sofort vollziehbare Verwaltungsakte die Möglichkeit
der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ein.
13
Diese
Anordnung hatte hier zu erfolgen, weil der angefochtene Verwaltungsakt
erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt ist und deshalb sowohl das
öffentliche Interesse als auch das Suspensivinteresse der
Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegen,
weshalb der vom Gesetzgeber angeordnete grundsätzliche Vorrang des
Vollzugsinteresses nicht wirksam werden kann. Bestehen erhebliche
rechtliche Bedenken erheischt das Legalitätsprinzip Beachtung, was
sowohl im öffentlichen Interesse als auch im Interesse des einzelnen
Bürgers, das im Übrigen auch vom Allgemeininteresse zu beobachten ist,
das Vollzugsinteresse zurücktreten lassen muss.
14
Das
erfolgte Vermittlungsangebot musste nicht befolgt werden, denn die
angebotene Arbeitsgelegenheit war wegen ihrer sittenwidrigen Vergütung
unzumutbar (§ 10 Abs 1 Nr 5 SGB II). Es handelte sich um die Vermittlung
in ein Arbeitsverhältnis und nicht in eine Maßnahme mit
Mehraufwandsentschädigung. Bei der angebotenen Arbeitsgelegenheit in der
Entgeltvariante gilt Arbeitsrecht uneingeschränkt (Thie in LPK-SGB II,
2. Aufl. § 16d RdNr 8, 10 mwN). Eine Vermittlung in rechtswidrige
Arbeitsverhältnisse darf von der an das Gesetz gebundenen
Sozialverwaltung nicht vorgenommen und schon gar nicht mittels
Sanktionen erzwungen werden. Im vorliegenden Falle folgt die
Rechtswidrigkeit des Stellenangebotes aus der Sittenwidrigkeit der
Vergütung. Die Kammer hält derzeit für Berlin bei einer
Vollzeitbeschäftigung eine monatliche Bruttovergütung von weniger als
1058 EUR für sittenwidrig. Die Kammer folgt insofern dem Urteil des
Sozialgerichts Berlin vom 27.02.2006, Az. S 77 AL 742/05 und dem
Beschluss der Kammer vom 1. September 2010, S 55 AS 24521/10 ER. Ein
auffälliges Missverhältnis, das die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138
Abs 1 BGB begründet, weil es gegen die in den grundgesetzlichen sowie in
Art 4 Nr 1 der Europäischen Sozialcharta als einfachem Bundesrecht zum
Ausdruck kommenden Wertentscheidungen verstößt, ist anzunehmen, wenn der
angebotene Lohn bei Vollzeitarbeit mit einer durchschnittlichen
Arbeitsleistungserwartung unter dem Grundsicherungsniveau für eine
volljährige alleinstehende Person ohne Unterhaltsverpflichtungen, bei
grundsicherungsrechtlich angemessener Unterkunft und bei
uneingeschränkter Erwerbsfähigkeit liegt. Unter Beachtung der Wirkung
der wesentlichen Verfassungsmaßstäbe des Grundgesetzes, insbesondere des
Würdeanspruches und des Sozialstaatsgebotes, wie auch der
bundesgesetzlichen Wertvorgaben des Art 4 Nr 1 der Europäischen
Sozialcharta beanspruchen diese Werte über die zivilrechtliche
Schutzvorschrift des § 138 Abs 1 BGB auch im privaten Arbeitsverhältnis
zwingende Beachtung. Diese Wertmaßstäbe wurden durch die Entscheidung
des BVerfG vom 9. Februar 2010 erneut bestätigt. Mit der
gesetzgeberischen Entscheidung über das Niveau der
Grundsicherungsleistung trifft nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG
der Gesetzgeber die auch für die anderen Rechtsbereiche maßgebliche
Entscheidung über das Niveau des würdeverbürgenden und ein Mindestmaß an
sozialer Teilhabe gewährleistenden Existenzminimums. Dieses strahlt als
das bundesdeutsche Gemeinwesen grundlegender Wert auch in das private
Arbeitsrecht. Unsere Verfassungs- und Rechtsordnung toleriert wegen
dieser Vorgaben grundsätzlich keine Arbeitsvergütung, die dem
Arbeitnehmer bei vollschichtiger Beschäftigung und durchschnittlicher
Arbeitsleistung die Absicherung bereits der eigenen menschenwürdigen
Existenz nicht erlaubt. Dass auch angesichts dieser Grenze, insbesondere
bei Unterhaltsverpflichtungen oder Teilzeitarbeit ein rechtmäßiges
Arbeitsentgelt nicht stets dazu führt, dass der Arbeitnehmer unabhängig
von Transferleistungen leben kann, spricht nicht gegen diese
Grenzziehung.
15
Unter Zugrundelegung der im zitierten
Urteil des SG Berlin aufgestellten Maßstäbe und unter Fortschreibung
der dort angewandten Werte ist für Berlin im Jahr 2011 bei
Vollzeitbeschäftigung eine Vergütung, die den Nettobetrag von 815,27
EUR/1058,00 EUR brutto unterschreitet, sittenwidrig wegen eines
unangemessen niedrigen Lohnes. Der Wert von 815,27 EUR errechnet sich
wie folgt: er berücksichtigt den derzeit gültigen
grundsicherungsrechtlichen Regelbedarf von 364,00 EUR, durchschnittlich
als angemessen geltende Kosten der Unterkunft und Heizung KdU (bei 45 m2
und 4,92 €/m2 Kaltmiete + 2,40 €/m2 Neben- und Heizungskosten) von
329,40 EUR (nach der AV Wohnen sind 378 € zulässig), sowie die mit der
Erwerbstätigkeit anfallenden notwendigen Aufwendungen: für eine
Monatskarte von 57,92 € (BVG Abo für Berlin-AB) abzgl des Anteils für
Fahrkosten im Regelsatz nach § 5 RBEG 22,78 €, Aufwendungen für
notwendige Versicherungen 30,00 €, für die Riesterrente 41,40 € und
Werbungskosten pauschal (§ 6 I Nr 3a ALG II VO) 15,33 €. Ein
Nettoeinkommen von 815,27 EUR setzt für einen alleinstehenden
Hilfebedürftigen einen Bruttolohn von 1058 EUR voraus (Stundenlohn bei
einer 38,5-Stunden-Woche: 6,34 EUR). Wegen der weiteren rechtlichen
Gründe verweist die Kammer auf das zitierte Urteil des SG Berlin. Eine
sittenwidrige Beschäftigung ist unzumutbar im Sinne von § 10 Abs 1 Nr 5
SGB II und darf ohne weitere wichtige Gründe abgelehnt werden, selbst
wenn der Hilfebedarf dadurch reduziert würde. Wollte man den Wert des
jüngsten Existenzminimumsberichts für das gesamte Bundesgebiet für
grundsicherungsrechtlich relevante Miet- und Heizungskosten ansetzen
(284 EUR), läge die Nettogrenze bei 769,87 EUR und die
Bruttoentgeltgrenze bei 989 EUR.
16
Im Falle der
Antragstellerin erreicht die Vergütung trotz der angebotenen
Vollzeitbeschäftigung bei keiner Betrachtung die erforderliche
Mindestvergütung. Die Antragstellerin ist auch nicht darauf zu
verweisen, sich einen angemessenen Lohn gerichtlich zu erstreiten.
Vielmehr hat die Antragsgegnerin bei ihren Stellenangeboten die
Rechtmäßigkeit der Angebote von Amts wegen vorher zu prüfen. Eine
monatliche Differenz von 158 EUR lässt sich auch nicht damit
rechtfertigen, dass die Arbeitsgelegenheit unter Teilhabeaspekten einer
besonderen Förderung unterliegt und deshalb die allgemeinen
arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht zu erfüllen bräuchte. Insofern wären
andere Förderinstrumente zu wählen. Es ist auch nicht erkennbar, dass es
um eine lediglich anfänglich geringere Vergütung gehe, die nach
Einarbeitung dann auf eine rechtlich akzeptables Maß erhöht werden würde
und deshalb die während der Einarbeitungszeit zu erwartende geringere
Arbeitsleistung einen entsprechenden Abschlag rechtfertigen würde. Die
Stelle war auf wenige Monate befristet und sollte keine Entgelterhöhung
vorsehen. Es war nach entsprechender Schulung keine reduzierte
Leistungserwartung für das Entgelt maßgeblich. Ein tariflicher
Mindestlohn war für die angebotene Arbeitsgelegenheit, soweit
ersichtlich, nicht einschlägig.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 173 Abs 3 Nr 1 SGG).
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/12m0/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE110016793&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint
Berliner
Jobcenter dürfen Hartz IV-Empfänger nicht in rechtswidrige
Arbeitsverhältnisse vermitteln und schon gar nicht mittels Sanktionen
erzwingen - menschenwürdigen Existenz muss erhalten bleiben(Entscheidung
des BVerfG vom 9. Februar 2010)
Mit Beschluss vom gestrigem Tage hat
das SG Berlin mit Beschluss vom 19.09.2011, - S 55 AS 24521/11 ER -
fest gestellt, dass der mit dem Widerspruch angefochtene Verwaltungsakt,
der Leistungsabsenkungen nach § 31 SGB II betrifft, der aufschiebenden
Wirkung nach der allgemeinen Vorschrift des § 86a Abs 1 Satz 1 SGG nicht
unterliegen. Insoweit räumt § 86b SGG auch für sofort vollziehbare
Verwaltungsakte die Möglichkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung
ein.
Das erfolgte Vermittlungsangebot musste nicht befolgt
werden, denn die angebotene Arbeitsgelegenheit war wegen ihrer
sittenwidrigen Vergütung unzumutbar (§ 10 Abs 1 Nr 5 SGB II). Es
handelte sich um die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis und nicht in
eine Maßnahme mit Mehraufwandsentschädigung. Bei der angebotenen
Arbeitsgelegenheit in der Entgeltvariante gilt Arbeitsrecht
uneingeschränkt (Thie in LPK-SGB II, 2. Aufl. § 16d RdNr 8, 10 mwN).
Eine
Vermittlung in rechtswidrige Arbeitsverhältnisse darf von der an das
Gesetz gebundenen Sozialverwaltung nicht vorgenommen und schon gar nicht
mittels Sanktionen erzwungen werden.
Im vorliegenden Falle folgt die Rechtswidrigkeit des Stellenangebotes aus der Sittenwidrigkeit der Vergütung.
Die Kammer hält derzeit für Berlin bei einer Vollzeitbeschäftigung eine
monatliche Bruttovergütung von weniger als 1058 EUR für sittenwidrig.
Die Kammer folgt insofern dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom
27.02.2006, Az. S 77 AL 742/05 und dem Beschluss der Kammer vom 1.
September 2010, S 55 AS 24521/10 ER).
Ein auffälliges
Missverhältnis, das die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs 1 BGB
begründet, weil es gegen die in den grundgesetzlichen sowie in Art 4 Nr 1
der Europäischen Sozialcharta als einfachem Bundesrecht zum Ausdruck
kommenden Wertentscheidungen verstößt, ist anzunehmen, wenn der
angebotene Lohn bei Vollzeitarbeit mit einer durchschnittlichen
Arbeitsleistungserwartung unter dem Grundsicherungsniveau für eine
volljährige alleinstehende Person ohne Unterhaltsverpflichtungen, bei
grundsicherungsrechtlich angemessener Unterkunft und bei
uneingeschränkter Erwerbsfähigkeit liegt.
Unter Beachtung der
Wirkung der wesentlichen Verfassungsmaßstäbe des Grundgesetzes,
insbesondere des Würdeanspruches und des Sozialstaatsgebotes, wie auch
der bundesgesetzlichen Wertvorgaben des Art 4 Nr 1 der Europäischen
Sozialcharta beanspruchen diese Werte über die zivilrechtliche
Schutzvorschrift des § 138 Abs 1 BGB auch im privaten Arbeitsverhältnis
zwingende Beachtung.
Diese Wertmaßstäbe wurden durch die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 erneut bestätigt.
Mit
der gesetzgeberischen Entscheidung über das Niveau der
Grundsicherungsleistung trifft nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG
der Gesetzgeber die auch für die anderen Rechtsbereiche maßgebliche
Entscheidung über das Niveau des würdeverbürgenden und ein Mindestmaß an
sozialer Teilhabe gewährleistenden Existenzminimums.
Dieses
strahlt als das bundesdeutsche Gemeinwesen grundlegender Wert auch in
das private Arbeitsrecht. Unsere Verfassungs- und Rechtsordnung
toleriert wegen dieser Vorgaben grundsätzlich keine Arbeitsvergütung,
die dem Arbeitnehmer bei vollschichtiger Beschäftigung und
durchschnittlicher Arbeitsleistung die Absicherung bereits der eigenen
menschenwürdigen Existenz nicht erlaubt.
Dass auch angesichts
dieser Grenze, insbesondere bei Unterhaltsverpflichtungen oder
Teilzeitarbeit ein rechtmäßiges Arbeitsentgelt nicht stets dazu führt,
dass der Arbeitnehmer unabhängig von Transferleistungen leben kann,
spricht nicht gegen diese Grenzziehung.
http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2011/09/berliner-jobcenter-durfen-hartz-iv.html
Gruß Willi S
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